Ungarns Kirchen blicken finanziell düsteren Zeiten entgegen. Pläne der Regierung, die staatlichen Subventionen für kirchliche Schulen zu kürzen, lösten massive Proteste bei Vertretern der größten christlichen Kirchen, der katholischen und der reformierten Kirchen, aus.
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Der Vorsitzende der Ungarischen Katholischen Bischofskonferenz, Bischof Andras Veres, findet angesichts der drohenden Einschnitte um bis zu 20 Prozent starke Worte: Die Kürzungen seien "rechtswidrig" eine Klage vor dem Verfassungsgericht werde erwogen. Während die Regierung in Budapest wiederholt beteuert, sie wolle die Kirchen nicht benachteiligen, sieht Bischof Veres eine "Degradierung von Schülern kirchlicher Schulen zu Bürgern zweiter Klasse." Auch der Apostolische Nuntius in Budapest, Erzbischof Juliusz Janusz, hat bereits protestiert und auf bestehende Vereinbarungen mit dem Vatikan hingewiesen. Die Kirchenvertreter befürchten jetzt eine spürbare Behinderung der Arbeit kirchlicher Schulen und Institutionen. Das Bildungsministerium legte dagegen Daten vor, nach denen die Kürzungen lediglich ein Ungleichgewicht korrigierten: Angeblich erhielten die kirchlichen Schulen bisher mehr öffentliche Gelder als die staatlichen.
Glaubensstreit um Statistik
Von Anfang an stand die Beziehung der Kirchen zur Regierung von Ferenc Gyurcsany unter einem ungünstigen Stern. Am Tag ihres Amtsantritts im Oktober wurden Ergebnisse einer Meinungsumfrage veröffentlicht, die im Auftrag der linksliberalen Regierung durchgeführt worden war. Danach folgen nur 13 Prozent der ungarischen Bevölkerung den kirchlichen Lehren, über die Hälfte der Befragten erklärt, dass sie auf "ihre eigene Weise" gläubig sei. Ein Regierungsbeamter kommentierte dies mit der Bemerkung, dass die Kirchen angesichts dieser Untersuchung wohl keine nennenswerte gesellschaftliche Unterstützung hätten. Vertreter der Kirchen ihrerseits nannten das Bild, das die Meinungsumfrage liefere, tendenziös. Bischof Veres erinnerte daran, dass - obwohl nur eine Minderheit der Bevölkerung regelmäßig die Kirche besucht - sich bei der letzten Volkszählung 75 Prozent der Ungarn zu einer der christlichen Kirchen bekannt hätten.
Anhänger der linksliberalen Regierung werfen den Kirchen jetzt allerdings Einmischung in die Politik vor: Die großen christlichen Kirchen hatten ihre Anhänger aufgerufen, beim Volksentscheid am 5. Dezember zu den Fragen, ob Magyaren außerhalb des Staatsgebietes die volle Staatsbürgerschaft erhalten sollten und ob die Privatisierung der Krankenhäuser gestoppt werden soll, mit "Ja" zu stimmen. Um dies zu bekräftigen, sind fast 500 reformierte Pfarrer aus den Ländern, wo ungarische Minderheiten leben, nach Ungarn gereist, um zwischen 28. November und 5. Dezember in ungarischen Kirchen im Sinne der Empfehlung zu predigen. Vergebene Liebesmüh, denn das Referendum ist in beiden Fragen gescheitert (die "Wiener Zeitung" hat berichtet).
Kirche in der Defensive
Obwohl die Verfassung eine klare Trennung zwischen Kirche und Staat vorschreibt, setzt sich die historische Tradition der Verflechtung von Kirche und Staat in Ungarn fort. Der Staat braucht die Kirchen für die Unterstützung seiner Politik, die Kirchen sind finanziell auf dem Staat angewiesen. Die konservativen Regierungen interpretierten die Trennung zwischen Kirche und Staat großzügig zugunsten der Kirchen, während die linksliberalen Regierungen die Abgrenzung betonten, um den Einfluss der Kirchen zurückzudrängen. Seit der Wende genießen die Kirchen jedoch mehr Unabhängigkeit als je zuvor.