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Das Lob für den jugendlichen ungarischen Ministerpräsidenten kam aus einer ungebetenen Ecke. Just am selben Sommertag, an dem Viktor Orbán vor einer kleinen Gruppe von deutsch- und englischsprachigen Journalisten - darunter dem Autor dieser Zeilen - seine neue Kampfansage an die Zauderer bei der Aufnahme seines Landes in die EU verkündete, erschienen in der angesehen römischen "La Republica" überschwängliche Lobesworte für die Politik des rechts-liberalen Regierungschefs in Budapest. Auf eine Frage, wen er für die "Politiker der Zukunft" ansehe und welche er von diesen ihm politisch am nächststehenden bezeichne, nannte Landeshauptmann Jörg Haider gegenüber dem Blatt "zum Beispiel den liberal-konservativen Ungarn Orbán".
Die Orbán zugeordnete Vorbild-Stellung hat nur Häme in der ungarischen Presse ausgelöst, die noch immer von den in der Kommunisten-Zeit erzogenen Journalisten beherrscht wird. Orbán selbst - von dem bekannt ist, dass er Radikalismen ob von Rechts oder von Links verabscheut - dürften diese Lobesworte wenig beeindruckt haben. Er blieb seiner außenpolitischen Linie treu und hat auch während des sofort nach dem Treffen mit Journalisten angetretenen Urlaubs begonnen, neue Fäden zu ziehen. Er soll an der südkroatischen Riviera mit mehreren führenden Politikern dieses Raumes zusammengekommen sein und versucht haben, diesen den "ungarischen Weg zu einem neuen Mitteleuropa" schmackhaft zu machen: nach Möglichkeit Vollmitgliedschaft bei der NATO (um gegen alle möglichen neuen militärischen Gefahren aus dem Osten gewappnet zu sein) und auch bei der Europäischen Union - sofern dies wirtschaftliche und politische Vorteile bringt.
Sehr zugute kamen dieser weitblickenden Außenpolitik á la Orbán die ungarischen Millenniums-Feiern. Dabei wurde mit Pomp und Volksfest daran erinnert, dass der römische Papst dem Nationalheiligen und Staatsgründer Stephan I. die Königswürde zuerkannt hatte. An diesem 20. August wurde -- im fühlbaren Gegensatz zu früheren Zeiten - jenes Mannes aus dem Haus der Árpáden als Christenfürsten gedacht, der sich nicht für Byzanz, sondern für Rom, also nicht für den Osten, sondern für den Westen entschieden und somit schon vor 1000 Jahren einen Anschluß an Westeuropa vorgenommen hatte.
Neue "Mitteleuropa-Theorie"
Die Ungarn von heute wollen Vollmitglied der EU werden; ihre Vorfreude wurde allerdings durch die Sanktionen gegen das westliche Nachbarland stark getrübt. Als Antwort auf die Hegemonie-Bestrebungen der großen Zwei der Union -- Paris und Berlin - setzen die seit der Staatsgründung für den Weiterbestand ihrer Selbständigkeit einmal gegen West, dann eben gegen Ost ankämpfenden Magyaren ihre neue "Mitteleuropa-Theorie" ein. Sie wollen - und damit schlüpfen sie in jene Rolle, die eigentlich Wien zustünde - "weder Brücke noch Fährschiff" sein, sondern "Brückenkopf": sie wollen - obwohl selbst noch lange nicht am Gabentisch von Brüssel sitzend - so tun als ob.
Ihre noch immer von einer Österreich-Phobie besessene Presse vernadert Österreichs Politiker als "die größten Bremsklötze auf dem Wege nach Brüssel". Diese Medien machen sich darüber lustig, dass Orbán und die Seinigen sich als Propagandisten einer "regionalen Zusammenarbeit für die europäische Integration" bei den Slowaken, Rumänen, Kroaten und Slowenen beliebt machen wollen: Ohne - wie bis 1945 - die "Sankt-Stephans-Idee" dazu zu missbrauchen, die kleineren und schwächeren Nachbarvölker zu beherrschen, sondern im Gegenteil, die wahre Ideologie des schon vor einem Jahrtausend europäisch denkenden Herrschers diesen Nationen gegenüber zu erfüllen. Der soeben in sein Amt eingeführte neue Präsident der Republik, Ferenc Mádl, erinnerte in seiner Rede zum Staatsfeiertag daran, dass "die Lehren und Gesetze des Heiligen Stephan dem Heute zu gelten scheinen: Es wäre ein Anachronismus ihn als einen Vorreiter der Demokratie anzusprechen, aber sein Staat war trotz mittelalterlicher Art keine Oligarchie, sondern ein Rechtsstaat".
Entsprechend der nationalen Linie, wonach der Nationalheilige weiterhin als Wegweiser zu gelten hat, werden jetzt aus den "Ermahnungen an den Sohn", dem Hauptwerk des vielseitigen Königs, die Worte zitiert: "Schwach und gebrechlich ist das Land mit nur einer Sprache und einer Gewohnheit". Stephan hatte seinem Sohn Emmerich empfohlen "aus verschiedenen Ländern Menschen und verschiedene lehrreiche Dinge mit zu bringen" und ihn aufgefordert, diese Menschen so zu behandeln, dass "sie lieber bei uns verweilen als anderswo".
Den "Traum aller Ungarn" verwirklichen
Gemäß diesen Mahnungen sprach sich auch Ministerpräsident Viktor Orbán am Gedenktag der Christianisierung seines Landes für eine Erfüllung des "Traumes aller Ungarn" aus. Dieser bestehe darin, "ein reiches, von selbstbewussten Bürgern gemeinsam erbautes, starkes Ungarn zu errichten". Der ungarisch Premier erwähnte zwar unter jener einen Million Opfer, die sein Land in den letzten 60 Jahren zu beklagen hatte, nicht nur die Kriegsopfer, sondern auch den "Verlust unserer jüdischen Mitbürger, die ausgesiedelten Ungarn deutscher Zunge und jene 200.000 wertvollen Individuen, die sich der Niederschlagung der Revolution 56 in die Emigration gegangen waren". Hingegen band er ausdrücklich "alle Magyaren, die in der Slowakei, der Karpatho-Ukraine, Siebenbürgen oder in den Nachfolgeländern von Jugoslawien leben" in die "Mitarbeit an der Verwirklichung des gemeinsamen Traumes" ein.
Werden wir also in Zukunft Zeugen einer "Erfüllung eines ungarischen Traumes"? Kritiker Orbáns vermuten, dass dieser - einen Wahlsieg von George Bush jun. vorausgesetzt - als Gegenstück zu einer (noch) sozialistisch bevormundeten EU eine neue, andere westliche (NATO!) Ost- und Nahostpolitik initiieren werde. Ansätze dazu sind in Ungarn derzeit erkennbar: Die Mitte-rechts-Koalition bemüht sich mit der arabischen Welt, ja sogar mit China und dem Schwarzen Kontinent, in Kontakt zu kommen, um dort als Vorreiter jener Europäer zu gelten, die "aus eigener Erfahrung selbst wissen, was Imperialismus ist, und wie man diesen zu bekämpfen hat."
"Wahrer der Sache der Kleinen"
Um an der Verwirklichung dieser Träume ernsthaft arbeiten zu können, muss Orbán allerdings noch seine Herrschaft zu Hause festigen. Die nächsten Wahlen sind wohl erst in zwei Jahren fällig. Sollte es aber Orbán nicht gelingen, die Wählerschaft, die ihm im Frühsommer 1998 die Mehrheit verschafft hatte, wieder zu den Urnen zu bringen, könnten die als Wähler "disziplinierteren" Sozialisten (Ex-Kommunisten) wieder die Nase vorne haben. Um einen fatale Rückfall in Zeiten des Dirigismus abzuwenden, bemüht sich Orbán - obwohl er mit Jahresbeginn den Parteivorsitz der Jungdemokraten abgegeben hat - seine internationale Position zu festigen. Dass er aus der "Ächtungs-Front" ausbrach und nicht nur Österreichs Außenministerin Ferrero-Waldner empfing, sondern (wenn auch auf sanften Druck aus Wien) auch Kanzler Schüssel einlud, ließ ihn in den Augen der anderen (nichtsozialistischen) Politiker in den übrigen EU-Kandidatenländern als "Wahrer der Sache der Kleinen" erscheinen.
Echte Helfer im Westen gesucht
Doch die Sympathie der engeren Nachbarn dürfte ihm nicht reichen: Er braucht echte Helfer im Westen. Nur damit ist zu erklären, dass er sich mit dem Gedanken trägt, als einziger europäischer liberaler Premierminister die eher unbedeutende "Liberale Internationale" zu verlassen, obwohl ihm dort der Posten des stellvertretenden Vorsitzenden angeboten worden war und er damit die deutschen Liberalen verärgert. Stattdessen schickt er sich an, die Reihen der EDU, der europäischen Konservativen, zu stärken. Auf diesem Weg verzichtet er nicht darauf, jenen großen Europäern Achtung zu zollen, die sich wirklich für die europäische Einigung eingesetzt und nicht zuletzt durch ihre Politik den Grundstein zur Rückkehr Ungarns in die europäische Familie gelegt haben: Die erste neugeschaffene "Millenniums-Medaille", die nur für jene gedacht ist, die sich für Ungarns Freiheit ausgezeichnet haben, wird am 18. September in Budapest feierlich an den früheren deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl überreicht.