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Ungarn-Aufstand 1956: Eine nationale Tragödie

Von Michael Schmölzer

Politik
Ende Oktober 1956. Noch sah es so aus, als wäre die Revolution geglückt. Am 4. November walzten die Sowjets den Volksaufstand nieder. Foto: Lessing, "Budapest 1956"

Lendvai-Publikation zum 50. | Jahrestag der Revolution. | Eindrucksvoller Bildband des Fotografen Erich Lessing. | "Achtung! Achtung! Hier spricht Ministerpräsident Imre Nagy. Sowjetische Truppen haben im Morgengrauen zu einem Angriff auf unsere Hauptstadt angesetzt mit der eindeutigen Absicht, die gesetzmäßige demokratische Regierung der Ungarischen Volksrepublik zu stürzen. Unsere Truppen stehen im Kampf. Dies teile ich dem Volk des Landes und der Weltöffentlichkeit mit."


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Budapest, 4. November 1956, 5.20 Uhr: Der erst kurz zuvor vom Geächteten zum Regierungschef aufgestiegene Reformkommunist Imre Nagy, weiß, dass der Traum eines Sozialismus mit menschlichem Antlitz zu Ende ist, ein blutiges Erwachen bevorsteht. Moskau war nicht bereit, einen seiner Vasallen in die Freiheit zu entlassen, auch wenn es zuvor so ausgesehen hatte.

Am 23. Oktober versammelten sich Arbeiter und Studenten auf Budapests Straßen, um gegen den verknöcherten KP-Apparat und für den Abzug der Sowjets zu demonstrieren. Man wollte zunächst eigentlich nur Polen unterstützen, wo eben der Reformer Gomulka zum Missvergnügen Moskaus an die Macht gekommen war und die Situation zum Zerreißen gespannt war. Doch die Situation eskaliert.

Das Stalin-Denkmal im Zentrum Budapests wird vom Sockel gestürzt, die ungarische Führung reagiert kopflos, ruft Moskau zu Hilfe. Die ersten Sowjet-Panzer rollen, es kommt zu Schießereien, die ersten Toten werden von den Straßen geholt. Dennoch scheint der Volksaufstand zunächst erfolgreich. Die kopflose ungarische Führung knickt schnell ein, die Reformer unter Imre Nagy übernehmen das Ruder.

50 Jahre nach dem Volksaufstand, der recht hoffnungsvoll begann und mit einer unglaublichen Tragödie endete, gedenkt man in Ungarn und Österreich der dramatischen Ereignisse.

Mitten im Geschehen: Zwei Zeitzeugen

Rechtzeitig zum Jahrestag im C.H. Beck-Verlag erschienen ist das Buch "1956. Der Aufstand in Ungarn" von György Dalos. Gleich nach den ersten Seiten wird deutlich: Hier war kein reiner Sachbuchautor, sondern ein Literat am Werk. Dalos weiß geschickt, Spannung aufzubauen, nach und nach lässt er die Protagonisten die Bühne betreten, bis die Tragödie schließlich ihren Lauf nimmt. Dabei hält sich der gebürtige, derzeit in Deutschland lebende Ungar exakt an die historischen Fakten.

Dalos, der zum Zeitpunkt des Aufstandes mit seiner Großmutter und seiner kränkelnden Mutter im Zentrum Budapests wohnte, hat die Ereignisse hautnah mitbekommen, kann sich in der Ich-Form in die Ereignisse von damals einbringen. Alle wesentlichen Aspekte werden behandelt, Dalos, der unter Nagy-Nachfolger Janos Kadar inhaftiert war, löst sich stellenweise vom unmittelbaren Geschehen, um die Hintergründe aufzuzeigen. Aufgewertet wird das Buch durch 17 Bilder des Fotografen Erich Lessing und eine Zeittafel am Ende des Buches.

Einen sehr direkten Zugang zum Thema hat auch der prominente Journalist Paul Lendvai. Das Buch "Der Ungarn-Aufstand 1956. Eine Revolution und ihre Folgen", erschienen bei C. Bertelsmann, profitiert unübersehbar davon, dass der Autor die Ereignisse unmittelbar beobachtet hat. Lendvai war in jenen Tagen frisch rehabilitierter Print-Journalist und außerdem dort, wo zunächst die heftigsten Kämpfe tobten - in der Nähe der Corvin-Passage und der Kilian-Kaserne. Eine Heroisierung seiner damaligen Rolle nimmt Lendvai nicht vor, gibt er doch offen zu, den Beginn der Revolution am 23./24. Oktober im wahrsten Sinne des Wortes "verschlafen" zu haben. Ein besonderes Verdienst Lendvais ist es, dass er die spezifischen historischen Gegebenheiten, die schließlich zum Volksaufstand führten, erklärt. So portraitiert er die diabolische Figur Matyas Rakosis, der als ungarischer KP-Chef und "Stalins eifrigster Schüler" in den Jahren 1949-1953 Angst und Schrecken verbreitete. In seine Amtszeit fallen die von Moskau gesteuerten Säuberungswellen, die in Ungarn (Laszlo Rajk) wie in der Tschechoslowakei (Rudolf Slansky) prominente Opfer forderten.

Lendvai gelingt es auch hervorragend, den Charakter des Volksaufstandes als "Graswurzelbewegung" einzufangen. Ohne zentrale Führung und ohne jede Steuerung von oben waren es lokale Kampfgruppen, sehr oft Jugendliche, die sich um teils skurrile Anführerfiguren gruppierten und sich gegen die Sowjetpanzer stellten.

Persönliches Schicksal in Wort und Fotografie

Einen sehr auf Einzelpersonen basierenden Zugang zum Thema hat die Autorin Marta S. Halpert gewählt. In "Gegangen und Geblieben. Ungarn 1956" beschreibt sie Emigranten-Schicksale sowie die Beweggründe derer, die sich nicht zur Flucht entschließen konnten. Halpert hat in diesem Zusammenhang mit Schriftstellern und Politikern, aber auch mit Unfallchirurgen und Pädagogen gesprochen. Ganz persönliche Schicksale werden mit historischen Ereignissen verwoben. In den Buch erfährt man etwa auch, dass sich Bundespräsident Heinz Fischer freiwillig zur Flüchtlingsbetreuung meldete und im Lager Traiskirchen zum Geschirrwaschen eingeteilt war.

Eindrucksvolle Schwarz-weiß-Fotografien finden sich in "Budapest 1956. Die ungarische Revolution". Der österreichische Fotograf Erich Lessing war 1956 zum richten Zeitpunkt am richtigen Ort und konnte die dramatischen Ereignisse mit der Kamera einfangen. Lessing, Mitglied der legendären US-Photographen-Kooperative Magnum, der auch Robert Capa angehörte, hat die Bedeutung seiner in Budapest geschossen Bilder laut eigenen Angaben erst relativ spät erkannt - jetzt sind sie einem bemerkenswerten Bildband zusammengefasst.

Paul Lendvai

Der Ungarn-Aufstand

1956.

Verlag C. Bertelsmann

319 Seiten, 22,95 Euro

Pflichtlektüre.

Erich Lessing

Budapest 1956.

Die ungarische Revolution

Brandstätter

249 Seiten, 39,90 Euro

Eindrucksvolle Bilder.

György Dalos

1956. Der Aufstand in

Ungarn.

C.H. Beck

246 Seiten, 19,90 Euro

Spannend wie ein Roman.

Marta S. Halpert

Gegangen und Geblieben. Ungarn 1956

Verlag Molden

166 Seiten, 19,90 Euro

Interessante Details.