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Ungarn hat beim Tourismus noch viel aufzuholen

Von Peter Stiegnitz, Budapest

Wirtschaft

Man weiß es nicht so genau: Ist es ein Erbe der Monarchie, oder hat die Monarchie es von den Ungarn ererbt: Das eigene Schicksal als traurige Lustigkeit anzusehen; da ist auch der Arbeitsmarkt keine Ausnahme.


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Ungarn, das neue EU-Mitglied, hat den Fremdenverkehr - nachdem die Touristen das Land der Magyaren bevölkern - entdeckt. In dieser Reihenfolge: Zuerst kamen die "Csárdás- und Huszáren"-Mentalität suchenden Touristen nach Ungarn. Dann erst begannen die Magyaren, den Fremdenverkehr ernst zu nehmen. Von einer wirklichen österreichisch-schweizerisch-südtirolerischen Fremdenverkehrsgesinnung kann jedoch immer noch keine Rede sein.

Béla - seinen Nachnamen erfuhr ich nicht - spricht hervorragend Deutsch, versteht etwas Englisch und sogar Italienisch. Er hat allerdings keinen ungarischen, sondern einen deutschen Arbeitgeber: Er ist Restaurant-Steward auf dem Donau-Kreuzfahrtschiff "Mozart"; einst DDSG-Flaggschiff. Auch Péter - er ist Nachtportier auf der "Mozart" - beherrscht mehrere Sprachen. Zwei Drittel der "Mozart"-Belegschaft - die nautische, wie das Hotelpersonal - sind Ungarn und können alle leidlich, zumindest, Deutsch. Auch "Béla bácsi" (Onkel Béla), der Bootsmann, sagt artig zu meiner nicht-ungarisch sprechenden Frau "Kiestihaand".

Béla, Péter und Béla bácsi gehören zur großen Ausnahme ungarischer Arbeitnehmer; ca. 80% der Magyaren beherrschen nur die eigene Muttersprache und nur im Westen des Landes, vorwiegend in Sopron, Szombathely und - ein wenig - in Mosonmagyróvár, wo die österreichischen Touristen die Restaurants, Friseurläden und Zahnarztpraxen bevölkern, wird Deutsch gesprochen.

Die magyarischen Binnenländer - im Gegensatz zu den Donauschiffern - sind stolz auf ihre "Inselsprache". Im slawisch-germanischen Sprachenmeer geht auch die bedeutungslose Zugehörigkeit zur finnisch-ungarischen Sprachgemeinschaft hoffnungslos unter. Was bleibt, ist "Ungarisch" in Reinkultur, dessen einziger Vorteil die landesweite Verständigung ist. Deshalb wundern sich die Ungarn über die Klagen der Wiener, die in Vorarlberg "kein Wort" verstehen.

6.000 suchen 300 Jobs

Gerne würden die Ungarn ein größeres Stück vom internationalen Fremdenverkehrskuchen bekommen. Nur die notwendigen Voraussetzungen fehlen - noch. So findet man im Budapester "Royal"-Hotels kaum Zimmermädchen, deren "Erscheinung, Benehmen und Sprachkenntnisse entsprechen würden", klagte "Népszabadság", die auflagenstärkste Tageszeitung Ungarns. Noch schlechter als den Personalchef des "Royal" traf es seine Kollegin im funkelnagelneuen Budapester "Four Season Hotel", die 300 Fachkräfte suchte. Gemeldet haben sich 6.000 Arbeitssuchende; kaum zwei Dutzend haben den ohnedies niedrigen Voraussetzungen entsprochen.

Im neokapitalistischen Ungarn kümmert man sich nicht sonderlich um die Arbeitnehmerschutzbestimmungen; selbst die kanadischen Gesetze sind arbeiter- und angestelltenfreundlicher als die ungarischen. So versteht die Budapester Four-Season-Personalchefin Ilona Juhász nicht, warum sie junge Arbeitssuchende nicht danach fragen darf, ob sie schwanger sind; das nur deshalb, weil die Torontoer Zentrale diese Frage verbietet. Die Personalchefin ist zudem gar nicht so unglücklich darüber, dass sie - entgegen den Forderungen der Zentrale - keine Behinderten, Ausländer oder andere "Benachteiligte" für ihr Luxushotel findet. Obwohl sie, laut Vorschrift der Kanadier, solche suchen müsste.

Trotz "roten Neokapitalismus" bemüht sich auch der ungarische Fremdenverkehr, westlichen Sozialstandard zu erreichen. Immerhin hat die heimische Kette "Hunguest Hotels AG" einen eigenen humanpolitischen Direktor bestellt. Viel kann natürlich auch dieser Direktor nicht erreichen, da die halbwegs gut ausgebildeten Kräfte sommerüber nur am Balaton (Plattensee) und im Winter ausschließlich in Österreich arbeiten wollen.

Auch die berühmte ungarische Küche kämpft mit Personalengpässen; und das, obwohl es im Land genügend gute Köche gibt. Nur: die Besten von ihnen aus dem Mittelbau suchen "steuerschonende" Gastwirte und Restaurantchefs, die mit dem vom Fiskus Ersparten Lohn und Gehalt ihrer Köche und ihres Küchenpersonals auffetten.

"Gastarbeiter" aus Polen und der Slowakei

Trotz aller sprachlichen und ähnlichen Schwierigkeiten ist der ungarische Arbeitsmarkt besser als sein Ruf. Während knapp über die Hälfte (57%) der ungarischen Arbeitnehmer von der "Aussichtslosigkeit" der Beschäftigungssituation überzeugt ist, herrscht im Land selber ein zunehmender Arbeitskräftemangel. Deshalb registrieren Budapester Arbeitsmarktexperten eine Zunahme von polnischen und slowakischen "Gastarbeitern". Da Österreich und Deutschland ihre Arbeitskräfte vor den "Neuen" geschlossen haben, suchen polnische und slowakische Arbeitslose einen Job in Ungarn.

Laut OECD-Studien ist die Beschäftigungsrate der 15 - 64-Jährigen in Ungarn mit 56% außerordentlich niedrig. Vor allem unter den "Aktivisten" der Aktiven (25 bis 54 Jahre) gehört Ungarn zum OECD-Schlusslicht. Den Grund dafür sehen Experten des Arbeitsministeriums in Budapest im niedrigen Pensionsalter, in der mangelnden Arbeitskräfte- und Wohnortmobilität und beim Nichtvorhandensein von Teilzeitarbeitsmöglichkeiten.

Aus diesen und ähnlichen Gründen empfiehlt die OECD bessere Voraussetzungen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit, die Schaffung ökonomischer Grundlagen für die Euro-Einführung und eine erhöhte Mobilisierung der stillen Arbeitskräftereserven.