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Kleinpartei MDF schafft den Sprung ins Parlament. | Stichwahl bringt Entscheidung. | Budapest. Zumindest rechnerisch ist noch alles möglich: Nach der ersten Runde der ungarischen Parlamentswahlen hält die regierende Linkskoalition von Premier Ferenc Gyurcsány bei 114 Mandaten, die Parteien der Rechten kommen auf 100 Mandate, 108 Mandate sind noch offen und werden beim zweiten Wahlgang am 23. April vergeben. Eine Machtübernahme durch den national-konservativen Populisten Viktor Orbán ist daher nicht ausgeschlossen. Da auch das kleine konservative Ungarische Demokratische Forum MDF den Einzug ins Parlament geschafft hat, könnte Orbán vor der zweiten Wahlrunde ein Bündnis mit den MDF-Demokraten eingehen und so doch noch das Steuer herumreißen.
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Ganz einfach wird das allerdings nicht. Denn dazu müssten sich Fidesz und MDF zunächst einmal darauf einigen, im zweiten Wahlgang nur noch gemeinsame Kandidaten ins Rennen zu schicken. Angesichts der zum Teil sehr starken Animositäten zwischen dem Fidesz- und dem MDF-Personal ist das alles andere denn einfach. Überdies hat die MDF-Chefin Ibolya Dávid schon im Wahlkampf angekündigt, sie würde ein Bündnis mit Fidesz nur dann eingehen, wenn sie den Posten der Regierungschefin bekommt - für die Vorsitzende einer Partei die gerade mit Müh und Not die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen hat, eine nicht gerade bescheidene Forderung. Um seine Chancen auf ein Come-back nicht zu begraben, versucht Fidesz-Chef Orbán den Wunsch von Dávid vorerst dennoch nicht zu kommentieren. Er lässt über seinen Kampagnenchef lediglich ausrichten: "Die Wähler haben für einen Wechsel gestimmt, deshalb planen wir Verhandlungen mit dem MDF."
Auch ungarische Politologen und Zeitungskommentatoren schließen einen Sieg der Rechten im zweiten Wahlgang nicht aus. So meint etwa Tamás Fricz von der ungarischen Akademie der Wissenschaften: "Durch den Wiedereinzug des MDF ins Parlament sind für Orbán die Chancen auf einen Sieg intakt." Gábor Miklós von der linksgerichteten Tageszeitung "Népszabadság" erwartet einen Generalangriff von rechts: "Jetzt wird der Wahlkampf wirklich scharf. Wie schon vor vier Jahren wird sich der Klerus auch diesmal massiv für die Konservativen einsetzen."
Perfekter Sündenbock
Obwohl den Populisten Orbán, der den Ungarn Arbeitsplätze, billige Energie und hohe Pensionen versprochen hat, Welten von der strengen konservativen Neoliberalen Dávid trennen, hätte für Orbán eine Koalition mit ihr durchaus Vorteile. Denn Orbán weiß natürlich, dass er nur einen Bruchteil seiner Versprechen einlösen kann. Nimmt er Ibolya Dávid mit an Bord, würde er einen perfekten Sündenbock für das unvermeidbare Abrücken von seinen generösen Wahlversprechen haben. Doch auch die Sozialisten werden, wenn sie die Regierung stellen, so manche Zusage an die Bürger revidieren müssen. Rund 38 Milliarden Euro will Premier Gyurcsány für Infrastruktur, vor allem für den Bau von Straßen, Schulen und Spitälern verwenden - das Geld dafür ist in der Staatskassa allerdings nicht vorhanden, Gyurcsány will daher vor allem die EU zur Kasse bitten, doch ob die Überweisungen aus Brüssel tatsächlich so üppig kommen, steht in den Sternen.
Egal, wer in zwei Wochen als endgültiger Sieger aus der Wahlauseinandersetzung hervorgehen wird: Gyurcsány oder Orbán, nach der Wahl sind auf jeden Fall bittere Zeiten programmiert. Denn wie es Endre Bojtár von der liberalen Wochenzeitung Magyar Narancs treffend formuliert: "Es ist nicht klar, was letztlich schlimmer sein wird: wenn die siegreiche Mannschaft ihre Wahlversprechen bricht oder wenn sie sie hält."