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Analyse: Orbans Tabubrüche führten das Land als Bittsteller zurück vor den IWF.
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Budapest/Wien. Zumindest einen Effekt hatte die Krise für Osteuropa: Die Region wird von Investoren nicht mehr als Klumpenrisiko, sondern differenziert betrachtet. Im Moment sticht ein Land negativ heraus: Ungarn. Das hat freilich nicht, wie Premier Viktor Orban argwöhnt, mit übelwollenden Spekulanten zu tun, sondern vor allem mit der Unberechenbarkeit seines Wirtschaftskurses. Nichts schätzen Investoren weniger als Unsicherheit und Wankelmütigkeit.
Seit seiner Amtsübernahme im Mai 2010 wollte Orban Ungarn vor allem unabhängig von den Finanzmärkten machen. Die Geschichte wiederholt sich - das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce: Das Land ist wieder dort, wo es im Oktober 2008 schon stand - als Bittsteller vor dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Damals retteten der IWF, die EU und die Weltbank Ungarn mit einem 20-Milliarden-Euro-Kredit vor der Staatspleite.
Jetzt braucht Ungarn abermals 10 bis 20 Milliarden Euro, so Schätzungen. Denn allein 2012 müssen an die 14 Milliarden Euro Schulden refinanziert werden - mit Anleihen im Ramschstatus und Zinsen im zweistelligen Bereich werden die Ungarn das via Kapitalmarkt nicht schaffen.
Deshalb wurden schon am Montag Gespräche mit dem IWF über eine neue Kreditlinie aufgenommen. Der für die Verhandlungen zuständige Minister Tamas Fellegi soll am Donnerstag IWF-Chefin Christine Lagarde treffen, berichtet die Agentur MTI.
Experiment ist gescheitert
Eine Staatspleite Ungarns wäre katastrophal für die ganze Region - nicht zuletzt für Österreich, das über den Außenhandel und die Banken eng mit dem Nachbarland verflochten ist. Nicht nur die jüngste österreichische Kreditaufnahme litt bereits unter den Ungarn-Problemen: Auch die polnische Währung Zloty geriet in den letzten Wochen aufgrund von Ansteckungseffekten unter Druck.
Orban war angetreten mit dem Versprechen, Ungarn seine Souveränität zurückzugeben. Dazu sollten die Schulden, die im osteuropäischen Vergleich mit rund 80 Prozent des BIP sehr hoch sind, gesenkt werden. Für dieses Ziel hat Orban ohne Rücksicht auf die Folgen (vor allem internationale) Großunternehmen mit hohen Krisensteuern belastet. Den Banken wurde aufgetragen, die an Private vergebenen Fremdwährungskredite, die unter dem Forint-Absturz leiden (siehe Grafik), zu konvertieren und selbst den Großteil der Kosten in Höhe von etlichen Millionen Euro zu schlucken. Jetzt drohen erste ungarische Gemeinden mit einer Zwangskonvertierung.
Die Mehrwertsteuer wurde auf 27 Prozent angehoben, ein rekordverdächtiger Wert. Darunter leidet der Konsum. Analysten prophezeien Ungarns Wirtschaft für 2012 bereits ein Schrumpfen um bis zu 1,5 Prozent.
Jetzt wird der "Kalman Szell-Plan" reaktiviert, der nach dem früheren Ministerpräsidenten und Wirtschaftsreformer benannt ist. Dieser war allerdings schon im Frühjahr 2011 vorgelegt worden. Mit mehr als bescheidenem Erfolg: Das Defizit 2011 fällt noch einmal um 10 Prozent höher aus als im Dezember prognostiziert. Und es ist mehr als doppelt so hoch wie ursprünglich geplant.
Die Vorzeichen sind somit vor den Verhandlungen mit dem IWF noch schlechter als 2008, weil die Glaubwürdigkeit in die Regierung erschüttert ist. Zwar hat Orban unter dem akuten Druck angekündigt, "bedingungslos" mit dem IWF zu verhandeln. Außenminister Janos Martonyi sagte, man habe "einen Blanko-Scheck ausgestellt" und müsse alles akzeptieren, was der IWF fordert.
Geglaubt werden diese Beteuerungen nur noch bedingt. Dass Orban die Unabhängigkeit der Notenbank aufs Spiel setzt, ist ein ökonomischer Tabubruch. Auch wenn die Regierung vehement dementiert, die Währungsreserven antasten zu wollen: All das erinnert fast schon an Zustände in Argentinien oder Venezuela. Allein: Ungarn kann auf keinen Rohstoffboom hoffen, um die Pleite abzuwenden.