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Ungarn: Proteste sorgen für Sturm auf Wahllokale

Von Petra Mihaly

Europaarchiv

Opposition spricht von Votum über Regierung Gyurcsány. | Ein Lokalaugenschein in Budapest. | Budapest. (apa) Die politischen Proteste der vergangenen zwei Wochen scheinen die ungarischen Wähler mobilisiert zu haben - auch wenn am Sonntag nur über die Kommunal- und Regionalvertreter abgestimmt wurde. Die Wahlbeteiligung war deutlich höher als vor vier Jahren, und erreicht damit einen Rekordwert seit den ersten freien Wahlen 1990.


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In einem Wahlkreis eines bürgerlichen Stadtteils in Budapest drängen sich am Vormittag dementsprechend die Menschen. Eine lange Schlange steht vor den beiden Wahlzellen, wo die Bürger in Direktwahl den Bürgermeister und den Bezirksvorsteher wählen, sowie in einer Mischform von Persönlichkeits- und Listenwahlrecht die Abgeordneten des Stadtrats bestimmen.

Doch obwohl in der Rhetorik der rechtskonservativen Opposition und der Anti-Regierungs-Demonstranten vor dem Budapester Parlament in dem Votum eine "Volksabstimmung" über das Kabinett des Sozialisten Ferenc Gyurcsány sieht, geben sich die Menschen in diesem traditionell eher der Rechten zugeneigten Viertel zurückhaltend. "Man kann nicht abschätzen, was die Wahl für Auswirkungen haben wird", sagt ein altes Ehepaar. Nur eines wünschen sie sich: "Ruhe, Frieden."

Ein alter Mann hofft zwar darauf, "dass man sie (die Regierung) zum Verschwinden bringen kann", doch so richtig scheint das hier keiner zu glauben. Eine Frau in ihren Dreißigern spricht zwar ebenfalls von "Hoffnung", wenn sie einen Sieg der Rechten bei den Kommunalwahlen meint, doch über weitere Auswirkungen auf das Land will sie sich nicht äußern.

"Leute werden Meinung über Regierung sagen"

Ein gut gekleideter Mann, der seinen alten Vater am Arm führt, möchte zwar ebenfalls den Sieg der rechtskonservativen Oppositionspartei Fidesz-Ungarischer Bürgerverband, doch sieht er keine rechtliche Auswirkung der jetzigen Wahl auf das Kabinett. Immerhin: "Die Leute werden damit ihre Meinung über die Regierung sagen."

Die vor zwei Wochen an die Öffentlichkeit gelangte Rede von Premier Gyurcsány vom Mai, in dem er vor sozialistischen Fraktionskollegen über die Notwendigkeit von Reformen sprach und dabei meinte: "Wir haben gelogen, in der Früh, zu Mittag, am Abend", hatte den Wahlkampf geprägt. Tag für Tag versammelten sich Demonstranten vor dem Parlament, um die Abdankung der Regierung zu fordern - doch die Menschen auf der Straße scheinen, trotz aller Enttäuschungen, nicht an einen dramatischen politischen Wechsel im Staat zu glauben.

Katalin, eine Angestellte im Öffentlichen Dienst, sieht in Gyurcsany immerhin jemanden, der etwas für das Land tun will: "Er wollte ja diese Schweine (die MSZP-Funktionäre, Anm.) dazu überreden, mal nicht nur an ihre eigene Bereicherung zu denken." Ihre Begeisterung für den Regierungschef hält sich allerdings auch in Grenzen: "Nicht, dass er nicht wüsste, wo sein eigener Vorteil liegt." Die 27-Jährige ist zwar von der Politik desillusioniert, sieht aber derzeit niemanden, der es besser machen könnte als der jetzige Ministerpräsident.

Der Museumsbeamte Gabor hält von der politischen Elite ähnlich wenig, deshalb hat er seine Stimmen gleich quer über das Parteienspektrum verteilt. Bei der Budapester Bürgermeisterwahl stimmt er für den Kandidaten der konservativen Kleinpartei MDF, in seinem Gemeindebezirk für den Sozialisten - und auf der Parteiliste wählt er gar die Ungarische Kommunistische Arbeiterpartei. Dies wird allerdings wohl eine eher seltene Protestgeste bleiben.