Zum Hauptinhalt springen

Ungarn: Sozialisten bleiben am Ruder

Von Piotr Dobrowolski

Europaarchiv

Premier Ferenc Gyurcsány baut seine Macht aus. | Regierungsbildung problemlos. | Budapest. Nach der zweiten Runde der ungarischen Parlamentswahlen heißt der unumstrittene Sieger Ferenc Gyurcsány. Der 44jährige Multimillionär und Sozialdemokrat hat nicht nur als erster ungarischer Nachwendepolitiker die Wiederwahl zum Premier geschafft - er konnte seine Macht auch noch beträchtlich ausbauen. Von 386 Sitzen im Parlament gehen 210 an die Regierungskoalition aus Sozialisten und Liberalen, das sind um zwölf Sitze mehr als vor vier Jahren.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Problemfall Budget

Anders als vor vier Jahren hat der rechte Herausforderer und Chef der Fidesz-Partei Viktor Orbán diesmal seine Niederlage noch in der Wahlnacht eingestanden und Premier Ferenc Gyurcsány zum Sieg gratuliert. Gyurcany verspricht nun, die Politik der Reformen und Westorientierung, für die seine Regierung stets gestanden sei, fortzusetzen. In der kommenden Legislaturperiode wird Gyurcsány neben der Reform des Gesundheitswesens sowie Infrastrukturprojekten, vor allem die Budgetkonsolidierung in Angriff nehmen müssen. Expertenschätzungen zufolge droht Ungarn bereits heuer ein Defizit von neun Prozent des BIP, Gyurcsány hat bisher aber keinerlei konkrete Angaben darüber gemacht, wie er dieser Bedrohung beikommen will. "Meine Aufgabe ist es, das Haushaltsgesetz einzuhalten - was das bedeutet ist noch nicht sicher", gibt er sich nach wie vor kryptisch. Im linken Lager ist Gyurcsány durch den Wahlsieg endgültig zum unangefochtenen Anführer geworden. Nicht nur der immense persönliche Einsatz mit bis zu acht Wahlkampfauftritten pro Tag hat ihm dabei geholfen. Profitiert hat der neue alte Premier auch von seiner offensichtlichen Angriffslust. Im Unterschied zu anderen sozialistischen Politikern war Gyurcsány nie um eine scharfzüngige Antwort auf die gewohnt rauen Attacken seines Widerparts Viktor Orbán verlegen. Dass er dabei nicht nur Orbán brutal angriff, sondern im Vorbeigehen auch so manchen Wähler durch seine groben Kalauer vergrämte, sehen ihm die Genossen angesichts des Siegs heute gerne nach. Kaum jemand in der Partei redet daher noch von umstritten Gyurcsány-Sagern wie der Behauptung, saudiarabische Fußballer seine "Terroristen".

"Die neue Regierung sollte schnell gebildet werden. Wir werden die Reformen sofort angehen", kündigte Gyurcsány am gestrigen Montag an. Zumindest die Regierungsbildung sollte ihm tatsächlich nicht schwer fallen. Eine Fortsetzung der Regierungskoalition mit der liberalen SZPSZ-Partei von Gábor Kuncze wurde bereits vor den Wahlen vereinbart. Da das Kräfteverhältnis zwischen Sozialisten und Liberalen im Wesentlichen gleich geblieben ist, sind auch keine große Streitereien über die Aufteilung der Ministerien zu erwarten. "Wir werden in der neuen Regierung darauf achten, dass die angekündigten Wirtschaftsreformen auch wirklich durchgeführt werden", sagt zwar Liberalen-Chef Kuncze und kündigt an, noch um Details der Koalitionsvereinbarung feilschen zu wollen, doch angesichts des Wahlergebnisses bleibt klar, dass die Sozialisten weiterhin die entscheidende Kraft sein werden.

Katerstimmung

Für die Rechte ist nun eine Phase der Neuorientierung angesagt. In der Wahlnacht gab sich Viktor Orbán noch kämpferisch und kündigte an: "Wir werden als Opposition keinen Schritt von unserem Programm abweichen." Gerade dieses Programm ist ihm allerdings zum Verhängnis geworden: Orbán hat den Wählern derart viele Versprechen gemacht, von höheren Löhnen bis zu subventionierten Energiepreisen, dass er letztlich unglaubwürdig wurde. Am Montag wich Orbáns Trotz der Ernüchterung: "Ich muss die volle Verantwortung übernehmen", erklärte er und kündigte an, sein Amt als Vorsitzender zur Verfügung stellen zu wollen. Ob die Delegierten das Angebot annehmen, bleibt vorerst schwer zu beurteilen. Tatsache ist aber, dass sich innerhalb der Fidesz-Partei kritische Stimmen, die eine Rückkehr zu den Ursprüngen fordern, mehren. Statt Sozialpopulismus und klerikal gefärbtem Nationalismus wünschen sich die parteiinternen Kritiker Fidesz als eine urbane, liberale Rechtspartei.

Analyse: Die Niederlage hat zahlreiche Väter