Zum Hauptinhalt springen

Ungarn steht vor Machtwechsel

Von Axel Reiserer

Politik

Budapest - Wieder einmal lagen die Meinungsforscher falsch. 5, 8, sogar 9 Prozentpunkte Vorsprung prognostizierten die Experten am Sonntagabend nach dem Schließen der Wahllokale in Ungarn dem regierenden Bund Liberaler Demokraten (Fidesz). Doch am Ende lachten die oppositionellen Sozialisten (MSZP), die die siegessichere Regierungspartei von Ministerpräsident Viktor Orban auf den zweiten Platz verwiesen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

In den Jubel über den überraschenden Sieg mischte sich bei den Sozialisten in der Wahlnacht die Zuversicht, im entscheidenden zweiten Durchgang am 21. April nun alle Trümpfe in der Hand zu haben. "Ich bin überzeugt, dass es eine Mehrheit gegen diese Regierung gibt", sagte Vize-Parteichefin Ildiko Lendvai schon, ehe das Endergebnis vorlag. Womit sie darauf anspielt, ist, dass die Sozialisten im Gegensatz zu Fidesz mit den Liberalen (SZDSZ) einen möglichen Bündnispartner haben. Die Liberalen schafften nämlich nicht nur als dritte Partei den Parlamentseinzug. In insgesamt 103 Einzelwahlkreisen belegten zudem SZDSZ-Kandidaten den dritten Platz und können nun in der zweiten Wahlrunde, entweder durch Absprachen oder den Rückzug, besser platzierten sozialistischen Bewerbern zum Sieg verhelfen.

Dass die Partei dazu bereit ist, machte Parteichef Gabor Kuncze bereits in der Wahlnacht klar. Eindeutiges Ziel der Liberalen ist nun eine Koalition mit den Sozialisten nach dem zweiten Durchgang.

Bei Fidesz gab man sich nach der unerwarteten Niederlage kämpferisch. Ministerpräsident Orban kündigte zwei Wochen des "harten Kampfs" um jede Stimme des "bürgerlichen Ungarn" an. Doch scheint er sein Potential bereits weitgehend ausgeschöpft zu haben. Mit 41,11 Prozent kam Fidesz zwar am Sonntag auf das mit Abstand beste Ergebnis seiner Geschichte (in der ersten Runde 1998 waren es 21,4 Prozent). Dafür hat Orbans Partei aber fast alles aufgesaugt, was sich rechts der Mitte bewegt. Die rechtsradikale Ungarische Wahrheits- und Lebenspartei (MIEP) von Istvan Csurka verfehlte mit bescheidenen 4,36 Prozent den Parlamentseinzug. Die traditionsreiche Kleinlandwirtepartei (FKGP) beförderte sich mit 0,76 Prozent (1998: 13,3 Prozent) wohl endgültig auf den "Müllhaufen der Geschichte".

Unmöglicher Spagat

Damit hat Orban für die zweite Runde kaum mehr Reserven. Er muss in den kommenden Tagen sowohl die Wähler der moderaten Zentrumspartei, die mit 3,89 Prozent bei ihrem ersten Antreten immerhin einen Achtungserfolg errang, als auch die der rabiaten MIEP an sich binden. Ein fast unmöglicher Spagat. Was aber noch schwerer wiegt: Selbst wenn Fidesz ein Wunder gelingt und in zwei Wochen die Sozialisten noch überholt, hat die Partei keinen Koalitionspartner. Denn eine Zusammenarbeit zwischen den Blöcken ist ausgeschlossen. Daher hatte Orban auch von Anfang an auf die absolute Mehrheit gesetzt. Der Politologe Attila Agh: "Sozialisten und Fidesz bekämpfen einander. Aber Fidesz und Liberale, die hassen einander."

Damit rächt sich die gerade von Orban und seiner Partei in den vergangenen Jahren forcierte Polarisierung der Gesellschaft. Ungarn ist nach vier Jahren Fidesz-Regierung trotz guter Wirtschaftslage gespalten wie selten zuvor. Genau dort setzte der Spitzenkandidat der Sozialisten, Peter Medgyessy, noch in der Wahlnacht klugerweise an, indem er erklärte: "Ich will ein Ministerpräsident für zehn Millionen Ungarn sein."

In jedem Fall erspart bleibt Ungarn das im Wahlkampf am heißesten diskutierte Thema, nämlich eine eventuelle Koalition zwischen Fidesz und den Rechtsextremen. Die Csurka-Partei verfehlte den Parlamentseinzug. Der Weg nach Europa ist damit für das Land ein gutes Stück leichter geworden.