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Ungarn steht vor Staatsbankrott

Von WZ-Korrespondentin Karin Rogalska

Wirtschaft

Panikkäufe an Wechselstuben - Bürger flüchten in sichere Devisen.


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Budapest. Blanke Panik auf den Straßen der ungarischen Hauptstadt Budapest: Am Donnerstag fiel der Forint auf den historischen Tiefstand von 324,27 je Euro. Seither stehen die Menschen in Schlangen vor den Wechselstuben an, um sich vor allem Euro und US-Dollar, in geringerem Maße auch britische Pfund und Schweizer Franken zu verschaffen. Die Umsätze der Händler haben sich laut dem Generaldirektor des Devisenservice Exlusive Change, Laszlo Körmendy, zuletzt verdreifacht.

Schon seit Anfang Dezember haben Hunderttausende Ungarn ihre Ersparnisse umdisponiert. Dazu hatten Gerüchte beigetragen, wonach die Regierung plane, die Sparguthaben einzufrieren - was dementiert wurde. Dennoch konnte das nicht verhindern, dass viele Ungarn in noch als sicher geltende norwegische und schwedische Kronen flüchteten - oder ihr Geld zu österreichischen Banken brachten.

"Wir haben auch in den letzten Tagen in Ungarn Zuflüsse und Einlagenzuwächse verbucht", sagt Bank-Austria-Sprecher Martin Halama zur "Wiener Zeitung". Gerüchte, wonach die italienische Bank-Austria-Mutter Unicredit sich aus dem Land zurückziehen wolle, seien Unsinn: "Es gibt keine Rückzugspläne. Die Bank schreibt in Ungarn Gewinne - und das trotz der außergewöhnlichen Belastungen." Damit spielt der Sprecher auf die ungarische Bankensteuer und die politisch verordnete und für die Geldinstitute teure Umwandlung von Fremdwährungskrediten an. Einzig und allein der ursprünglich geplante ehrgeizige Filialausbau liege auf Eis, so Halama.

Sein und Schein

Unterdessen versichern Ungarns Währungshüter, das Bankensystem sei stabil. Die Kreditinstitute könnten einen Wechselkursverfall auf 329 Forint je Euro und 275 Forint je Schweizer Franken ohne weiteres verkraften. Doch darauf vertraut fast niemand mehr. Die Erholung des Forint auf 316 je Euro am gestrigen Freitag erscheint vielen Ungarn nur als Verschnaufpause vor dem Fall ins Bodenlose.

Der Staatsbankrott Ungarns scheint ausgemacht. Dabei sind US-Beobachter in ihrem Urteil härter als europäische. Roubini Global Economics etwa rechnet in den nächsten Monaten mit einem Offenbarungseid der Regierung in Budapest. Akute Nöte bei der Finanzierung des Staates habe Ungarn zurzeit noch nicht, das Land müsse sich allerdings bis Mitte des Jahres über internationale Finanzhilfen verständigen, heißt es hingegen bei der ungarischen Tochter der Erste Bank.

Über den Zustand der ungarischen Wirtschaft gibt es nur Mutmaßungen. Dabei erweckt die Regierung selbst eher den Anschein, Ungarn stehe unmittelbar vor dem Kollaps. Vor kurzem sickerte durch, die Nationalbank verfüge über Reserven von umgerechnet 35 Milliarden Euro. Über diese kann der Staat infolge einer international umstrittenen Änderung des Notenbankgesetzes vergleichsweise frei verfügen. Schon die Hälfte der Reserven würde reichen, um Schulden der Gemeinden, Städte und Staatsbetriebe zu begleichen und die Zinsen auf Staatsanleihen heuer und 2013 zu bedienen. Budapest wies diese Spekulationen in aller Schärfe zurück: Man werde die Schulden sicher nicht so abbauen.

Im Poker um die Aufnahme offizieller Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) wäre es allerdings auch kontraproduktiv, wenn der Eindruck entstünde, Ungarn sei mehr als nur ausreichend liquide, zumal das Land gerade wegen dieser Novelle des Notenbankgesetzes heftig kritisiert wird.

Kehrtwende beim Leitzins?

Aus Sicht vieler Beobachter in Budapest lässt sich die Talfahrt des Forint nur dann stoppen, wenn die Notenbank den Leitzins anhebt oder sich die Regierung mit dem IWF einigt. Allerdings hat Orban Notenbankgouverneur Andras Simor zu häufig für eine "unverantwortliche Hochzinspolitik" kritisiert, als dass sich hier eine einleuchtende Kehrtwende vollziehen ließe. Eine Finanzspritze des IWF hingegen erscheint vergleichsweise bequem. Bei einer nur halbwegs geschickten Verhandlungsführung sollte es, wie bei in der Vergangenheit gewährten Krediten, gelingen, die wirtschaftliche Souveränität des Landes zu wahren und unpopuläre Reformen zu vermeiden - das ist zumindest die Vorstellung der Regierenden. Und insofern Ungarn, wenn auch nur brummend, beim Notenbankgesetz einlenken sollte, bliebe es nach diesem Kalkül auch ein international akzeptierter Partner.