Ungarn und Polen bringen mit ihrer Budgetblockade die Tagesordnung des EU-Gipfels zu Corona-Maßnahmen aus dem Lot.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Erschreckende Covid-Zahlen in ganz Europa, das sich inmitten der dramatisch verlaufenden zweiten Welle befindet - da erscheint es mehr als angebracht, dass sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer am heutigen Donnerstag schon zum zweiten Mal bei einem außerordentlichen Gipfel treffen, um die bessere Koordination der Corona-Maßnahmen voranzutreiben. Doch das ist nicht nur mühsamer als gedacht: Noch immer warten wir auf banal erscheinende Lösungen wie einheitliche Quarantänezeiten, einheitliche Meldeformulare für Reisende oder die Synchronisierung der diversen Corona-Apps. Das Thema wird inzwischen auch überlagert von einer eskalierenden politischen Debatte rund um die Implementierung des Rechtsstaatsprinzips in das EU-Budget.
Ungarn und Polen, die beide an der Spitze der EU-Nettoempfänger stehen, hatten am Montag ihre Drohung wahr gemacht und schon in der ersten Abstimmung auf Botschafterebene ihre Zustimmung zum mehrjährigen Finanzrahmen und dem Wiederaufbaufonds verweigert. Beide Staaten haben an sich nichts gegen die beiden Programme, sie sind vielmehr die größten Nutznießer der EU-Mittel. Sie nutzen ihr Veto ausschließlich aus taktischen Gründen, um die von beiden Ländern abgelehnte Rechtsstaatsverknüpfung wieder auszuhebeln, die mit qualifizierter Mehrheit durchging und deshalb bereits beschlossene Sache ist.
Karas und Tusk fordern EVP-Ausschluss von Fidesz
Die EU werde durch die Blockade am Höhepunkt einer nie da gewesenen Gesundheits- und Wirtschaftskrise nun auch noch in eine politische Krise gestürzt, empörte sich SPÖ-Delegationsleiter Andreas Schieder. Othmar Karas, langjähriger ÖVP-Abgeordneter und Vizepräsident des EU-Parlaments, sagte, Orban torpediere nicht nur die EU als Rechts- und Wertegemeinschaft, er blockiere damit auch wichtige Investitionen für alle. Und er wurde auch hinsichtlich der EVP-Mitgliedschaft von Orbans Fidesz überdeutlich: "Wenn Orban beim EU-Gipfel weiter blockiert, ist der Ausschluss von Fidesz aus der EVP die logische Konsequenz." Ähnlich hatte sich zuvor auch schon EVP-Präsident Donald Tusk geäußert.
Während Viktor Orban und der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der die Linie des Vorsitzenden der Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, vertritt, inzwischen lediglich Zuspruch von Sloweniens Ministerpräsident Janez Jansa bekamen, sehen alle anderen die Union vor einer neuen Zerreißprobe. So gut wie jeder Gesprächspartner in Brüssel betont, dass die übrigen EU-Länder und alle weiteren Beteiligten mehr denn je am Thema Rechtsstaatlichkeit festhalten würden. Vize-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis und EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni mahnten am Mittwoch die Dringlichkeit ein, eine Lösung zu finden. Bleiben die beiden Riesen-Pakete mit einem Gesamtvolumen von mehr als 1,8 Billionen Euro wegen des Streits unbesiegelt, verzögern sich die Corona-Hilfen; das EU-Budget 2021 wäre eine Notlösung, eine Fortschreibung des bestehenden Budgets mit Zwölftelteilung.
Einen Ausweg aus dieser Patt-Situation weiß im Augenblick niemand. Wieder einmal sind alle Augen auf die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gerichtet, deren Land noch bis Ende des Jahres den EU-Vorsitz innehat. Sie führte sowohl mit Orban als auch mit Morawiecki inzwischen Telefongespräche, über deren Inhalt oder Ergebnis nichts durchsickerte.
Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) zeigte sich wenig optimistisch: "Bei diesem Punkt stehen wir an." Auf die Frage, ob Viktor Orban für seine Abkehr vom Veto vielleicht eine konkrete Forderung - gegebenenfalls an anderer Front - habe, sagte Edtstadler: "Nein, das ist aus ungarischer Sicht eine ideologische Debatte. Die Ungarn bringen zum Ausdruck, wie unzufrieden sie damit sind, wie das verknüpft ist." Polen wiederum argumentiere "mit Unsicherheiten bei der rechtlichen Grundlage".
Und wie zur Bestätigung rechtfertigte Ungarns Regierungschef am gestrigen Mittwoch das Veto auf einmal mit einem Verweis auf die Migrationspolitik. Ungarn sei ein "engagierter Anhänger der Rechtsstaatlichkeit", teilte er mit, Brüssel betrachte jedoch nur jenes Land als Rechtsstaat, "das Migranten Einlass gewährt".
Den Kompromiss auf dem EU-Gipfel vom Juli 2020 hätte Ungarn nur deswegen akzeptiert, weil "wir für die europäische Solidarität stimmen und unterstützen, dass die auf Finanzhilfe angewiesenen Staaten möglichst schnell zu Ressourcen gelangen".
Umgehung der Veto-Länder als Alternative
Inzwischen mehren sich in Brüssel die Stimmen, es auf eine harte Konfrontation mit Warschau und Budapest ankommen zu lassen. Guy Verhofstadt, belgischer Ex-Premier und kämpferischer liberaler EU-Abgeordneter, trat am Mittwoch für eine Lösung ein, die schon in den Tagen davor die Runde gemacht hatte: "Es gibt eine Möglichkeit, den Corona-Wiederaufbaufonds freizugeben: durch eine Kooperation der übrigen 25 Länder, ohne Ungarn und Polen." Nachsatz: "Wir werden sehen, wie lange sich die beiden dann weiter selbst ins Knie schießen".