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Ungarn will österreichische Banken noch einmal schröpfen

Von Hermann Sileitsch

Politik

Premier Orbán will Ungarn von Fremdwährungskrediten befreien


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Budapest. Nach seiner heftig umstrittenen Änderung der Verfassung segelt Viktor Orbán weiter im populistischen Fahrwasser: Am Dienstag kündigte Ungarns Ministerpräsident bei einer Wirtschaftstagung umfassende Eingriffe in den Finanzsektor ein. Von dieser Breitseite wären Österreichs Großbanken erneut am stärksten betroffen. Sie haben in Ungarn große Marktanteile - und wurden dafür schon mehrfach zur Kasse gebeten.

Zumindest Orbáns Ankündigungen klingen dramatisch: Er plädiert für den Aufbau eines staatlichen Bankensystems. Es gebe nämlich zu viele ausländische Kreditgeber im Land - künftig sollten zumindest 50 Prozent des Sektors in ungarischer Hand sein. Besonders kleinen Unternehmen will er helfen, ihre auf Euro und Schweizer Franken lautenden Schulden in die trudelnde Landeswährung Forint umzuwandeln.

Macht Orbán diese Ankündigung wahr, hieße das, dass Banken, die zur Umschuldung gezwungen würden, drastische Verluste in Kauf nehmen müssten. Die Beträge, um die es geht, sind durchaus substanziell: Alles in allem hatten Österreichs Banken in Ungarn Mitte des Vorjahres Kreditforderungen in Höhe von rund 21 Milliarden Euro ausständig.

EU drohte mit Verfahren

Österreichs Banken verfolgen die Entwicklungen mit Argusaugen, halten sich aber bedeckt. "Wir wollen vorerst nichts dazu sagen und die parlamentarische Entscheidung abwarten", sagt Erste-Group-Sprecherin Hana Cygonkova zur "Wiener Zeitung". Ganz ähnlich der Kommentar der Raiffeisen Bank International (RBI): "Wir wollen das nicht kommentieren", erklärt Sprecherin Ingrid Krenn-Ditz.

Ernst genommen werden die Ankündigungen sehr wohl. Denn die Vorgeschichte lässt vermuten, dass es Orbán nicht bei Drohungen belässt. Bei der Bevölkerung punkten könne er damit allemal, sagen Insider: Immerhin hätten viele Ungarn Kredite in Euro oder (in geringerem Ausmaß) in Schweizer Franken aufgenommen. Wegen der Währungsturbulenzen sind sie mit der Rückzahlung überfordert. Schon einmal wollte Orbán eine Zwangskonvertierung dieser Kredite zu einem für die Darlehensnehmer günstigen Forintkurs durchsetzen - an sich ein Verstoß gegen die EU-Binnenmarkt-Regeln und gegen den freien Kapitalverkehr. Schließlich einigten sich Politik und Banken auf ein Prozedere, das für die Institute schmerzhaft, aber verkraftbar schien: Nur jene Ungarn, die sich die Konvertierung leisten konnten, kamen für die Sonderkonditionen infrage.

Das Programm sei bis Ende des ersten Quartals 2013 verlängert worden, heißt es bei der Ersten. Rund ein Drittel der insgesamt betroffenen 70.000 Kunden habe teilgenommen. Ähnlich sieht es bei der RBI aus: 29 Prozent der Fremdwährungskredite oder 400 Millionen Euro wurden frühzeitig getilgt. Daraus resultierte ein Bruttoverlust von 109 Millionen, der durch Staatsanleihen auf 76 Millionen Euro gesenkt werden konnte und 2011 verbucht wurde. Insgesamt hatte die RBI 5,4 Milliarden Euro an Krediten per September 2012 ausständig - 62 Prozent davon in Fremdwährung.

Sollte Orbán jetzt noch einmal mit einem Eingriff in privatrechtliche Verträge nachlegen, würde die EU-Kommission dabei sicherlich nicht zusehen, heißt es in Behördenkreisen in Wien. Die EU hatte bereits wegen mehrerer Orbán-Initiativen Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

"On-off-Beziehung" zum IWF

Ungarn steht also unter Beobachtung. Das Land hatte 2010 Sondersteuern eingeführt, die primär ausländische Telekom-, Energie- und Handelskonzerne trafen. Sie sind ausgelaufen; noch aufrecht ist die Bankenabgabe, gemessen an der Größe des Marktes die höchste in Europa. Ursprünglich war zugesagt worden, dass die Steuer 2013 halbiert werde - ein leeres Versprechen. Die Erste kostete diese Steuer im abgelaufenen Jahr 47 Millionen Euro. Die Raiffeisen Bank International musste 2012 rund 26 Millionen Euro abführen; 2013 könnte sich dieser Sonderposten in der Bilanz auf rund 40 Millionen Euro belaufen.

Von einem liberalen, investorenfreundlichen Kurs, wie ihn viele postkommunistische Volkswirtschaften eingeschlagen haben, kann in Ungarn keine Rede mehr sein. Die konservative Fidesz wirft alle Dogmen über Bord. Die Landeswährung Forint ist aufgrund des erratischen - oder in ungarischer Diktion "unorthodoxen" - Kurses seit Oktober 2012 auf einer dramatischen Talfahrt. Und der Boden dürfte noch nicht erreicht sein. Denn Orbán rief die Geldpolitik dazu auf, die Zinsen weiter zu senken. Gut für Exporteure, schlecht für die Kreditnehmer.

Sein Wunsch könnte auf Gehör stoßen. Die Unabhängigkeit der Notenbank ist faktisch obsolet - im Chefsessel sitzt seit wenigen Tagen György Matolcsy. Der Ex-Wirtschaftsminister gilt als treibende Kraft des Sonderwegs.

Der Schuss wird nach hinten losgehen, warnen Experten. Ausländische Investoren machen einen Bogen um das Land oder haben ihr Engagement reduziert.

Ungarn brauche keine Hilfe von außen, betont Orbán unbeirrt. Zum Internationalen Währungsfonds (IWF) unterhält das Land eine Art "On-off-Beziehung": Erst wird monatelang über Hilfskredite verhandelt, dann heißt es, man sei darauf nicht angewiesen. Momentan verspürt Ungarns Regierung offenkundig Oberwasser. Die Frage ist, wie lange das gut geht. Auch die Haushaltspolitik wurde von Brüssel bereits gerügt: Der Defizitabbau sei nicht nachhaltig, weil er nur auf Einmaleffekte wie die besagten Steuern setze.