Scharfe Kritik an Regierungsplänen zur Verfassung. | EU hat Einwände zu Sonderwahlrecht für Familien und Auslandsungarn. | Budapest. "Zutiefst beunruhigt": So zeigen sich der ungarische Ombudsmann für Minderheiten, Ernö Kallai, und die Vertreter der 13 in Ungarn anerkannten Volksgruppen über die bisher bekannt gewordenen Pläne der rechtskonservativen Regierung zur Verfassungsreform. Es drohe eine "systematische Beseitigung des bisher beispielhaften juristischen Schutzes von Minderheiten", findet Kallai. Nach Angaben des Ombudsmannes, dessen Amt im Zuge der Verfassungsänderung abgeschafft werden soll, bekennen sich zehn Prozent aller Ungarn zu einer Minderheit. Dem solle aber in der neuen Verfassung offenbar nicht Rechnung getragen werden.
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So seien Minderheiten in der bisher bekannten Fassung der neuen Präambel nicht einmal erwähnt. Darüber hinaus solle in dem Gesetz nur der Schutz der ungarischen Sprache, nicht aber der Sprachen nationaler Minderheiten verankert werden, was im Widerspruch zu internationalen Verpflichtungen Ungarns stehe. Auch werde der Staat nicht verpflichtet, die kollektive Teilnahme von Minderheiten am öffentlichen Leben zu garantieren.
Anders als zuvor zugesagt, sei keine parlamentarische Vertretung von Volksgruppen vorgesehen. Stattdessen sollten Minderheiten nur an der Arbeit des Parlaments beteiligt werden. Und mit besonderer Sorge erfüllt Kallai, dass zu Änderungen des Minderheitengesetzes künftig keine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament mehr erforderlich sein soll.
Genügt Grundrecht?
Die Regierung in Budapest verweist darauf, dass Ungarn das erste Land sei, wo die seit 1. Dezember 2009 rechtskräftige Europäische Grundrechtecharta Eingang in die Verfassung finde. Darin ist auch das Grundrecht auf Gleichbehandlung verankert, aus dem Juristen einen allgemeinen Anspruch Minderheitenangehöriger ableiten, gegenüber Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung in ihrem Lande nicht diskriminiert zu werden.
Vor kurzem veröffentlichten Kallai und die Minderheitenvertretungen das zwölf Punkte umfassende Dokument "Was sich Nationalitäten in Ungarn wünschen". Darin fordern sie unter anderem ein neues Minderheitengesetz und eine Stärkung der Minderheitenselbstverwaltungen.
Seit 1993 gilt in Ungarn ein Nationalitätengesetz, das auf internationaler Ebene immer wieder als vorbildliches Regelwerk zum Schutz nationaler Minderheiten bezeichnet wird. Dabei betonen Rechtsexperten, dass Angehörigen von nationalen Minderheiten durch das Gesetz wohl auch deshalb vergleichsweise viele Rechte eingeräumt wurden, damit Ungarn im Gegenzug auf eine bevorzugte Behandlung von ungarischen Kommunitäten im Ausland pochen kann. Die größte nationale Minderheit im Nachbarland sind die Ungarndeutschen.
Unmut in der Slowakei
Bei der Verfassungsreform ist die ungarische Regierung inzwischen auch international unter Druck geraten. Auf europäischer Ebene wird die geplante Einführung eines Familien-Wahlrechts kritisiert, durch das Eltern mit Kindern bei Wahlen und Abstimmungen mehrere Stimmen hätten.
In den Nachbarstaaten, insbesondere in der Slowakei, stößt wiederum auf heftige Kritik, dass Budapest anders als zunächst geplant ein Wahlrecht für Angehörige ungarischsprachiger Minderheiten festschreiben will, die auch die ungarische Staatsangehörigkeit haben. Wenig überraschend wettert vor allem der frühere sozialdemokratische Premier Robert Fico, dessen Regierungszeit von heftigen Spannungen zwischen Bratislava und Budapest gekennzeichnet war, gegen die Pläne der ungarischen Regierung.
Bemerkenswert ist dabei, dass ihm mit der neoliberalen SaS von Parlamentspräsident Richard Sulik eine der vier Parteien der Mitte-Rechts-Regierung den Rücken stärkt - und das zu einem Zeitpunkt, wo Fico Umfragen zufolge sogar allein regieren könnte. Die Reform der ungarischen Verfassung wird damit auch zu einer ernsten Bewährungsprobe für die Koalition in Bratislava.