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Ungarns Premier Gyurcsány ringt um Gesichtswahrung

Von WZ-Korrespondentin Carola Palzecki

Europaarchiv

Tonaufnahme bringt unpopulären Sozialdemokraten in die Bredouille. | "Haben gelogen." | Budapest. Ehrlichkeit am falschen Platz hat ihren Preis. Diese bittere Erfahrung macht gerade der ungarische Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány. Ende Mai hatte er in seiner Funktion als Vorsitzender der Sozialisten seinen Genossen ins Gewissen reden und sie zu größeren Anstrengungen aufrufen wollen, jetzt stolpert er möglicherweise darüber, dass damals er zu deutliche Worte fand.


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"Es ist offensichtlich, dass wir in den vergangenen anderthalb bis zwei Jahren gelogen haben. Es war klar, dass das, was wir gesagt haben, nicht der Wahrheit entsprach. Und dabei haben wir vier Jahre lang nichts getan. Ihr könnt mir nicht eine einzige Regierungsmaßnahme nennen, auf die wir stolz sein könnten mit Ausnahme dessen, dass wir am Ende den Machterhalt geschafft haben."

Diese teilweise noch um einige deftige Ausdrücke zu ergänzenden Sätze können die Ungarn seit gestern, Montag, auf den Websites aller größeren Medien aufrufen. Mitgeschnitten wurden die Aussagen des Premiers am 26. Mai bei einer Fraktionssitzung der Sozialisten in Balatonöszöd.

Verteidigung

Wer die Aufnahme zunächst dem Ungarischen Rundfunk in die Hände spielte, ist bisher nicht bekannt. Gyurcsány hatte zuvor seine Aussagen in abgeschwächter Form am Wochenende wiederholt und bestätigt, dass es tatsächlich einen Mitschnitt aus Balatonöszöd gebe. Gestern ging er in die Offensive und verteidigte sich mit dem Hinweis darauf, dass Ungarn schlichtweg wieder auf den richtigen Weg zurückfinden müsse.

Eine Intrige?

Die jüngsten Geschehnisse kommen für den Premier zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Zwar wurde er noch im April als erster Ministerpräsident Ungarns seit 1990 im Amt bestätigt, er hat aber in jüngster Zeit deutlich an Popularität eingebüßt. Dies hängt mit den Sparmaßnahmen zusammen, die er dem Land seit seiner Wiederwahl verordnet hat und deretwegen er auch in den eigenen Parteireihen nicht unumstritten ist. In Kürze wählen die Sozialisten ein neues Präsidium. Es wird daher vermutet, dass die Aufnahme von internen Gyurcsány-Gegnern öffentlich gemacht wurde, um den Parteivorsitzenden schrittweise zu schwächen und möglicherweise sogar zu einem vorzeitigen Rücktritt zu bewegen.