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Ungarns verkannte Not

Von Karin Rogalska

Analysen

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Werden es vier Milliarden Euro, wie vor kurzem aus den Reihen der rechtsnationalen ungarischen Regierungspartei Fidesz verlautete? Oder doch sechs oder sogar zwölf Milliarden Euro, wie Bankanalysten vermuten? Oder war es doch nur viel Lärm um nichts?

Die Größenordnung, in der die Regierung in Budapest den Internationalen Währungsfonds und die EU um Finanzhilfe gebeten hat, ist unbekannt. Überrascht haben die Anfragen allemal. Seit der IWF im Juli 2010 weitere Hilfszahlungen an Ungarn verweigerte und die Regierung von Viktor Orban aufforderte, erst einmal den Haushalt zu konsolidieren, herrschte gen Washington offiziell Funkstille. In der Folge wurde Orban, der neuerdings damit zitiert wird, er würde gehen, wenn der IWF nach Ungarn komme, nicht müde zu betonen, sein Land schaffe es aus eigener Kraft.

Wie sehr die Ungarn aber wohl insgeheim doch Richtung IWF schielten, lässt sich beispielsweise daran ermessen, dass in Budapest nichts so oft beziffert wird wie die Staatsverschuldung. 2010 belief sie sich auf 82 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, heuer sollen es 74 Prozent sei. Die Regierung nimmt das als Indiz für eine innovative Wirtschaftspolitik, die der zuständige Minister György Matolcsy gern in die Worte fasst, man arbeite schon nach Lehrbüchern, die es erst noch zu schreiben gelte.

Die Märkte sehen das anders. Als im März 2009 der Euro 316 Forint kostete, hielten das viele für einen einmaligen traurigen Rekord. Damals galten 250 Forint je Euro noch als realistischer Richtwert. Längst sind es 300 Forint. Das ist nur der sichtbarste Ausdruck einer Misere, die Orban nicht in den Griff bekommt. Zuletzt konnte Ungarn nicht mehr seine Staatsanleihen losschlagen, dem Land droht die Herabstufung seiner Kreditwürdigkeit auf Ramschniveau. Hilfe von außen könnte in dieser Situation angebracht sein.

Damit verliert Ungarn jedoch möglicherweise deutlich an Souveränität in Wirtschaftsfragen. Orban, für den die nationale Rückbesinnung seiner Landsleute ein Schlüsselanliegen ist, kann dies natürlich nicht schmecken. So ist es kein Wunder, dass es die Regierung vor den Anfragen an Washington und Brüssel für notwendig erachtete, den Bürgern zu versichern, dass man sich doch nur vorsorglich an IWF und EU wende. Es gehe um eine Zusammenarbeit neuen Typs. Teilweise wurden sogar Vergleiche zu Polen gezogen, dem der IWF im Jänner eine flexible Kreditlinie von 30 Milliarden US-Dollar mit einer Laufzeit von zwei Jahren gewährt hatte. Dabei blieb ein wichtiger Unterschied unerwähnt: Polen will gar nicht erst in eine Schuldenkrise geraten, während Ungarn schon mitten drin ist.