Zum Hauptinhalt springen

Ungarns Vorsitz startet im Tief

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban bekam mit dem Rest von Europa schon Schwierigkeiten, bevor er die EU-Ratspräsidentschaft übernahm. Foto: ap

Premier Orban zeigte wenig Fingerspitzengefühl. | EU-Abgeordnete ventilieren Stimmrechtsentzug. | Schwerpunkte Euro-Rettung, Budget und Erweiterungen. | Wien. So groß war die Aufregung noch nie, bevor einer der jüngeren Mitgliedstaaten zu Jahresbeginn den EU-Vorsitz übernommen hat. Mit ihrem dubiosen Mediengesetz hat die ungarische Regierung das Fass zum Überlaufen gebracht und es beispiellos verstanden, die EU-weite Empörung schon vor ihrem Antritt an der EU-Spitze zu abonnieren. Es gibt die Befürchtung, dass die Mannschaft von Premier Viktor Orban nicht nur dem eigenen Land, sondern auch der EU als Ganzes Schaden zufügen könnte.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Denn die Kritik am neuen Mediengesetz, das pünktlich mit Übernahme des EU-Vorsitzes in Kraft tritt, wollte zuletzt nicht abreißen. Der Stein des Anstoßes ist die neu zu etablierende Überwachungsbehörde für alle Medien inklusive Blogs, die bei "unausgewogener Berichterstattung" hohe Geldstrafen auf den Weg bringen kann. Was Ausgewogenheit bedeutet, obliegt den Medienwächtern selbst, die allesamt Parteigänger von Orbans Fidesz ("Bund junger Demokraten") sind. Selbst wenn das Gesetz wohl nicht zu restriktiv ausgelegt werden soll, wie es aus Ungarn heißt, so handelt es sich nach Einschätzung von Medienvertretern doch zumindest um einen Angriff auf die Pressefreiheit.

Orban unterschrieb

Sogar die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel - mit Orban in derselben Parteienfamilie, der Europäischen Volkspartei (EVP) - zeigte sich unzufrieden. Zuletzt erklärte der Staatsminister im Außenministerium, Werner Hoyer, dass Berlin Nachbesserungen des Gesetzes erwarte. Vorläufig tritt das Gesetz aber in Kraft wie vorgesehen: Orban hat es am Donnerstag unterschrieben.

Im EU-Parlament brachten Vertreter von EVP, Sozialdemokraten und Grünen sogar den Artikel 7 des Lissabonner Vertrags ins Spiel, nach dem einem Mitgliedsland wegen Verstößen gegen die Grundwerte der Union am Ende das Stimmrecht entzogen werden könnte. Selbst die EU-Kommission kündigte nach langem Zaudern eine "informelle Prüfung" des ungarischen Mediengesetzes an. Dass der streitbare ungarische Regierungschef sich bisher jede Beanstandung seiner jüngsten Kreation energisch verbat, ja seine Kritiker verhöhnte, war nicht hilfreich, um die Wogen zu glätten.

Schließlich war das Mediengesetz nur der letzte Mosaikstein in einer ganzen Reihe von umstrittenen Maßnahmen, die Orbans Regierung mit ihrer komfortablen Zweidrittelmehrheit durchs Parlament gepeitscht hat. So haben etwa die hohen und stets blitzartig eingeführten Sondersteuern für Banken, Telekommunikations- und Energieunternehmen zur Sanierung des von der Wirtschaftskrise gebeutelten Landes zu großer Verärgerung unter ausländischen Investoren geführt. Betroffen sind vor allem auch österreichische Finanzinstitute wie die Erste Bank und Raiffeisen.

Für Spannungen mit den Nachbarn dürfte zudem ein weiteres Gesetz führen, das mit 1. Jänner in Kraft tritt: Im Ausland lebende Personen ungarischer Volkszugehörigkeit können nun die Doppelstaatsbürgerschaft beantragen. Das steht auch jenen zu, unter deren Vorfahren mindestens ein ungarischer Staatsbürger war und die zudem die ungarische Sprache beherrschen. Das Gesetz war vor allem in der Slowakei auf heftige Proteste gestoßen.

Enormes Arbeitspensum

Fast in den Hintergrund tritt so zu Beginn des ungarischen EU-Vorsitzes, welch enormes Arbeitspensum die Union in den kommenden sechs Monaten bewältigen muss. Die dauerhafte Stabilisierung des Euro in der Krise, der Umgang mit Wackelkandidaten wie Portugal und Spanien sowie Vorverhandlungen über das EU-Rahmenbudget von 2014 bis 2020 werden die ungarische Präsidentschaft fordern. Außenminister Janos Martonyi nannte den Abschluss der EU-Beitrittsverhandlungen mit Kroatien und die (vorläufig unwahrscheinliche) Schengen-Erweiterung um Bulgarien und Rumänien als weitere Schwerpunkte bis Ende Juni 2011.

Ob Orban und sein Team das kommende Halbjahr nach dem schwierigen Start ohne größere Eklats bewältigen, wird jetzt mit Spannung erwartet. Dabei ist Ungarn bereits das dritte jüngere EU-Land, das den EU-Vorsitz übernimmt. Den Slowenen als ersten Neuen im EU-Chefsessel hatte die Union aber noch gelassener entgegengesehen. Ruhig und effizient arbeitete die Regierung in Ljubljana ihr Programm ab; schaffte den Spagat, dass der Kosovo nach seiner Unabhängigkeitserklärung von den meisten EU-Staaten anerkannt wurde und Serbien gleichzeitig auf EU-Kurs blieb. Bereits deutlich kurioser lief ein Jahr darauf die tschechische EU-Präsidentschaft, von der kaum inhaltliche Erfolge in Erinnerung blieben: Zur Halbzeit wurde Premier und EU-Vorsitzender Mirek Topolanek aus dem Amt gefegt, weil seine hauchdünne Mehrheit im Parlament kollabiert war. Davor war er mit Nacktauftritten bei einer Berlusconi-Party und derber Kritik an der Krisenpolitik von US-Präsident Barack Obama ("Weg in die Hölle") aufgefallen.

Für Ungarn wird die Situation an der EU-Spitze dadurch entschärft, dass EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy statt Orban den Treffen der Staats- und Regierungschefs vorsitzt und die Sitzungen der Außenminister von der ständigen EU-Außenministerin Catherine Ashton geleitet werden. Und wenigstens Joseph Daul, EVP-Fraktionschef im EU-Parlament, spricht Orban Mut zu: Er werde "ein guter Kapitän für Europa" sein, erklärte er zu Jahresende aufmunternd.