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"Ungesunde Einstellung im Beruf"

Von Harald Waiglein

Wissen

US-Hypothekenkrise "sehr ernst", aber Hoffnung besteht. | Dynamik der US-Wirtschaft wird längerfristig nachlassen. | Neoklassische Ökonomie "muss verschwinden." | "Wiener Zeitung":Herr Professor, die Krise im US-Hypothekenbereich hält derzeit die Börsen in Atem. Wie ernst ist Ihrer Ansicht nach die Lage?


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Edmund Phelps: Sehr ernst. Aber ich glaube, es gibt auch Grund zur Hoffnung, dass die Märkte damit fertig werden. Einerseits dürfte es künftig bessere Regeln und Gesetze im Bereich der Verbriefung von Hypothekendarlehen geben. Andererseits haben die Notenbanken dem Bankensektor ausreichend Liquidität zur Verfügung gestellt. Das sind ganz gute Vorzeichen.

Es gibt Ökonomen, die sagen, es wäre besser, wenn die USA jetzt eine milde Rezession erleben würden, damit die großen Ungleichgewichte in der Volkswirtschaft abgebaut werden. Ansonsten wäre nämlich längerfristig eine viel ernstere Rezession die Folge.

Ich glaube, wir müssen uns ohnehin von den Wachstumsraten der jüngeren Vergangenheit verabschieden. Der Bau-Boom ist vorüber. Er ist vielleicht durch die Vergabe von Hypothekar-Darlehen an Haushalte mit niedriger Bonität verlängert worden, aber jetzt ist er vorbei. Und ich habe keinen Anlass zu glauben, dass irgendetwas Anderes nun die Rolle der Bauwirtschaft als Wachstumstreiber übernehmen kann.

Glauben Sie, dass den USA eine Rezession droht?

Ich würde das Wort "Rezession" nicht verwenden. Es suggeriert nämlich, dass danach die wirtschaftliche Aktivität wieder auf das Niveau vor der Rezession ansteigt. Ich würde eher von einem "Rückzug" oder "Rückschlag" sprechen.

Sie glauben also an eine längere Phase mit geringem Wachstum?

Nicht bloß mit geringem Wachstum, sondern generell mit geringerer Aktivität und höherer Arbeitslosigkeit. Der längerfristige Wachstumspfad des Brutto-Inlandsproduktes wird auf ein niedrigeres Niveau zurückfallen.

Kommen wir von den USA nach Europa: Sie haben mehrfach die Meinung vertreten, dass gewisse europäische Wertvorstellungen der Grund dafür sind, dass Europas Wirtschaft weniger dynamisch ist als die amerikanische. Welche Wertvorstellungen meinen sie damit?

Es gibt zwei Arten von Hemmnissen in Europa: Zum einen liegen diese in den Institutionen - etwa in der Organisation des Arbeitsmarktes, des Finanzsektors, oder bei der Eigentümerstruktur der Unternehmen. Auf der anderen Seite bin ich fest davon überzeugt, dass es gewisse individuelle Haltungen gibt - Einstellungen am Arbeitsplatz, Einstellungen gegenüber Firmen oder gegenüber dem Wettbewerb - die für die Entwicklung westeuropäischer Volkswirtschaften ungesund sind.

Welche Einstellungen meinen sie konkret?

Die Universität Michigan hat in den 90er Jahren über einen Zeitraum von drei Jahren Erhebungen in westlichen Ländern durchgeführt. Dabei wurden Leuten Fragen gestellt wie: "Was halten Sie von Wettbewerb?" oder: "Was halten Sie davon, wenn jemand mehr Geld verdient, weil er mehr Leistung erbringt?" Dabei hat sich herausgestellt, dass die Menschen in einigen großen europäischen Ländern Wettbewerb und Leistungsorientierung nicht gerade enthusiastisch gegenüber stehen.

Und diese Abneigung führt Ihrer Meinung nach zu geringerer Produktivität?

Auch, aber es gibt einen noch viel wichtigeren Aspekt als Produktivität: Mangelnde Zufriedenheit im Beruf. Jene Länder, in denen die Menschen besonderen Wert darauf legen, durch Leistung Karriere zu machen, wo Arbeitnehmer keine Probleme damit haben, Anweisungen entgegen zu nehmen und wo auch große Bereitschaft herrscht, Verantwortung zu übernehmen - also auch selbst Anweisungen zu geben - das sind gleichzeitig auch die Länder, in denen ein großer Teil der Arbeitnehmer hohe Zufriedenheit und Identifikation mit dem Job ausdrückt. Hohe Produktivität ist meiner Meinung nach nur ein angenehmer Nebeneffekt davon.

Wie ist es möglich, dass es in den USA hier andere Wertvorstellungen gibt als in Europa? Immerhin wurden die USA doch von europäischen Siedlern gegründet?

Das ist eine wunderbare Frage. Ich habe viel von Alexis de Tocqueville (frz. Publizist und Historiker, 1805-1859) gelesen, weil ich versucht habe, diesen Widerspruch aufzulösen. Ich weiß die Antwort nicht. Es könnte sein, dass die USA vielleicht nur durch einen glücklichen, historischen Zufall erfolgreich mit einem System waren, in dem Wettbewerb sowie das reibungslose Erteilen und Entgegennehmen von Anweisungen wichtige Elemente darstellen. Es gibt hier auch eine gewisse Eigendynamik: Eine gute wirtschaftliche Performance verstärkt die gute Einstellung, und die gute Einstellung verstärkt die wirtschaftliche Performance. Ich würde aber dennoch gerne klarstellen, dass die USA nicht das Land sind, in denen Leistungsorientierung und Gestaltungswillen am stärksten ausgeprägt sind. Das ist nämlich Kanada.

Was könnten die Europäer tun, um dynamischer zu werden?

Ich glaube, die europäischen Regierungen müssten mit einer konzertierten, längerfristigen Strategie versuchen, die Einstellungen der Bevölkerung gegenüber Handel, Wettbewerb, Veränderungen und Innovation zu verändern. Innerhalb von ein, zwei Jahrzehnten könnten dann Verbesserungen erzielt werden. Auch das Bildungssystem spielt eine wichtige Rolle. Was Schüler lernen, ist nicht gottgegeben. Es ist eine Frage der Politik. Andererseits: Ein französischer Politiker hat mir einmal gesagt, wenn man die Lehrpläne in Frankreich nach meinem Geschmack ändern würde, würde das trotzdem nichts ändern, weil die Lehrer diese Lehrpläne gemäß ihrer eigenen Wertvorstellungen vermitteln würden.

Sie haben in den 60er Jahren ein Paradigma zertrümmert, nämlich dass die Politik die Arbeitslosigkeit senken kann, indem höhere Inflationsraten in Kauf genommen werden. Welches ökonomische Paradigma wird Ihrer Ansicht nach als nächstes zertrümmert werden?

Ich glaube, der ganze Komplex der neoklassischen Ökonomie muss verschwinden (lacht).

Warum?

Er liefert kein Erklärungsmodell für eine Welt der Innovation. Wenn ein Land nicht innovativ ist, bewegt es sich dennoch heute in einer globalisierten Wirtschaft, die sehr wohl innovativ ist. Es gibt in dieser Welt sehr viel Unsicherheit und sehr viel Zwiespältigkeit, die wirtschaftliche Entscheidungen überschattet. Gerade diese Unsicherheit und Zwiespältigkeit macht aber den Kern wirtschaftlicher Chancen und Gelegenheiten aus. Also müssen wir Unsicherheit und Zwiespältigkeit in jenes Theoriegerüst einfügen, das wir den Studenten beibringen.

Das heißt, die Wirtschaftswissenschaft sollte sich in Zukunft eher an der Chaos-Theorie orientieren?

Das würde einem großen Österreicher, nämlich Friedrich August von Hayek, sicher sehr gut gefallen.

Edmund Phelps wurde am 26. Juli 1933 in Evanston, im US-Bundesstaat Illinois, geboren. International bekannt wurde er vor allem durch seine Arbeit Ende der 1960er Jahre, als er den allgemein angenommenen Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit in Frage stellte.

In den 50er und 60er Jahren vertrat die Wirtschaftswissenschaft die Ansicht, es gäbe einen stabilen Zusammenhang zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit. Wer eine höhere Inflation in Kauf nahm, konnte nach dieser Theorie zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Umgekehrt führte eine niedrigere Inflation zu höherer Arbeitslosigkeit.

Gemeinsam mit Milton Friedman wies Phelps darauf hin, dass nicht die Inflation selbst, sondern die Inflations-Erwartung der Bevölkerung entscheidend ist. Keynesianismus zur Ankurbelung der Wirtschaft kann demnach nur so lange die Arbeitslosigkeit senken, bis die Menschen ihre Inflationserwartungen anpassen und höhere Löhne verlangen.

Phelps befasste sich auch mit der Frage, wie hoch die Sparquote einer Gesellschaft sein sollte, um die Wohlfahrt heutiger und künftiger Generationen gleichermaßen zu maximieren. Er kam zum Ergebnis, dass die Sparquote dann optimal ist, wenn der Zinssatz dem Wirtschaftswachstum entspricht.

Im Jahr 2006 erhielt Phelps den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Phelps ist derzeit Professor an der Columbia University in den USA.

Das Friedrich August von Hayek-Institut mit Sitz in Wien und Stanford wurde 1993, ein Jahr nach dem Tod des österreichischen Ökonomen gegründet. Hayek selbst hatte die Gründung noch veranlasst.

Ziel des privaten und parteiunabhängigen Forschungsinstitutes sollte es sein, die österreichische Schule der Nationalökonomie wieder nach Österreich zurück zu bringen, beziehungsweise im deutschsprachigen Raum zu fördern und fortzusetzen. Wirtschaftsnobelpreisträger Edmund Phelps ist derzeit auf Einladung des Hayek-Institutes in Alpbach zu Gast.

Das Institut ist Teil des Stockholm Network, eines Netzwerkverbundes vorwiegend europäischer, wirtschaftsliberal orientierter Denkfabriken.

Daneben gibt es auch renommierte Partnerinstitute in den USA, wie etwa das Cato Institute und die Heritage Foundation.