Die Europäische Union will nach Jahren der Beschäftigung mit sich selbst wieder vorankommen.
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Rom. Den Ausblick konnten an dem Tag nur wenige genießen. Auf dem Kapitolshügel in Rom, vor der Kulisse des Forum Romanum hatten sich am Samstag nämlich die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union versammelt – und für Einwohner und Touristen war das Gebiet weiträumig abgeriegelt. Die Geschäfte blieben geschlossen; die Polizisten wirkten genervt. Immerhin waren für den Nachmittag auch Demonstrationen mit zehntausenden Menschen angesagt, von EU-Befürwortern aber auch von anarchistischen Gruppen.
Doch drinnen, im Konservatorenpalast, wo vor 60 Jahren die Römischen Verträge unterschrieben wurden, ließen sich die Premiers und Präsidenten die feierliche Stimmung nicht verderben. EU-Ratspräsident Donald Tusk, geboren im Jahr der Unterzeichnung, sprach von Träumen, die wahr werden und von Werten, für die es zu kämpfen gilt. Der Pole meinte damit nicht nur den Gründungsakt der Europäischen Gemeinschaft sondern auch die Ereignisse in seinem Heimatland vor fast 30 Jahren, die zum Fall des sozialistischen Regimes führten. Er erinnerte an die Wünsche von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten. "Mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich hinter dem eisernen Vorhang gelebt, wo es verboten war, an diese Werte auch nur zu denken", sagte Tusk. Die Menschen hätten damals auf den Westen geblickt und instinktiv gespürt, dass so ihre Zukunft aussehen sollte. Damals hätte es tatsächlich ein Europa der zwei Geschwindigkeiten gegeben.
Mehr als ein Wirtschaftsbündnis
Denn auch jetzt schwelt eine Debatte um unterschiedliche Geschwindigkeiten. Und das sorgt vor allem in einigen osteuropäischen Mitgliedstaaten für Unmut. Neue Teilungen, mittlerweile innerhalb der Union, lehnen die Länder ab. Allerdings gibt es jetzt schon Möglichkeiten zur Gruppenbildung, ohne die Notwendigkeit, alle Staaten zu berücksichtigen. So können ein paar von ihnen bei einem bestimmten Projekt – etwa der Besteuerung von Finanztransaktionen – vorangehen. Ebenso gehören nicht alle Mitglieder der Euro-Zone oder dem Schengen-Raum an, in dem Reisen ohne Passkontrollen möglich ist. Großbritannien ist sogar dabei, die EU selbst zu verlassen.
Das aber solle nicht die Einheit der übrigen Mitglieder gefährden. Dieses Signal wollten die 27 Staats- und Regierungschefs mit ihrer "Erklärung von Rom" aussenden. "Wir sind zu unserem Glück vereint", heißt es dort: "Europa ist unsere gemeinsame Zukunft." Schon zuvor hatte Tusk betont: Die EU werde entweder geeint oder sie werde überhaupt nicht sein. Und Italiens Premier Paolo Gentiloni hatte seine Ansprache mit dem Ruf geschlossen: "Lang lebe die Europäische Union."
Es war trotzdem nicht Pathos, das beim Jubiläumsgipfel im Vordergrund stand. Die EU, mit einer Reihe von Krisen sowie Herausforderungen von außen und innen ringend, muss ihren künftigen Weg finden. Die "Agenda von Rom" setzt dabei vier Schwerpunkte: innere und äußere Sicherheit, ökonomisches Wachstum und die Vollendung der Wirtschaftsunion, Einsatz für soziale Gerechtigkeit sowie mehr außenpolitisches Engagement. Zusammengefasst: "In den kommenden zehn Jahren wollen wir eine sichere und geschützte, wohlhabende, wettbewerbsfähige, nachhaltige und sozial verantwortungsvolle Union, die willens und in der Lage ist, eine entscheidende Rolle in der Welt zu spielen und die Globalisierung zu gestalten."
Unterschiede in der Gangart
Um diese Ziele zu erreichen, sei die EU "das beste Mittel", ist in der Schlusserklärung zu lesen. Dabei sollten sich alle Mitglieder in dieselbe Richtung bewegen – auch wenn Gangart und Intensität durchaus unterschiedlich sein können. So könnten einige Staaten bei einem bestimmten Vorhaben voranschreiten. Zum Ausschluss anderer – wie von manchen im Vorfeld eben befürchtet – sollte dies aber nicht führen. Vielmehr solle die Tür "allen offen stehen, die sich später anschließen möchten". Und dann folgt noch einmal die Beteuerung: "Unsere Union ist ungeteilt und unteilbar."
Die EU, in den vergangenen Jahren mit sich und ihren Versuchen zur Krisenbewältigung beschäftigt, will wieder vorankommen. Und sie sollte sich ihrer Bedeutung wieder bewusst werden. "Wir sind ungenügend stolz auf das Erreichte", befand EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und berichtete von seinen Reisen, bei denen er immer wieder Worte der Bewunderung für das europäische Projekt höre. Die EU werde außerhalb der EU teilweise mehr geschätzt als innerhalb. Nirgends, meinte der Luxemburger, sei er lieber Europäer als in Afrika oder Asien. Wenn er dann wieder in Brüssel lande, "im Tal der Tränen", bekomme er Fernweh.
Eine Rückbesinnung auf ihre Ideale wird für die Europäer wohl nicht einfach werden. Sie wird auch Zeit kosten. So erwartet der österreichische Bundeskanzler Christian Kern heuer keine großen Fortschritte, nicht zuletzt wegen der Wahlen in Frankreich und Deutschland, deren Ausgang richtungsweisend für die gesamte Gemeinschaft sein könnte. Aber auch Österreich selbst könnte in den Zukunftsdebatten schon nächstes Jahr eine größere Rolle spielen: Immerhin übernimmt es im Juli den EU-Vorsitz.