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Derzeit ist Mehrheit der Schotten für einen Verbleib im Vereinigten Königreich.
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Saint Andrews. "Wir hier in Schottland machen so einiges anders - und genau deshalb müssen wir sichergehen, dass unsere Stimme auch gehört wird." Nigel Don lässt noch einmal seinen Blick über die Zuschauermenge schweifen, faltet sorgfältig seine Notizzettel zusammen und nimmt dann neben den anderen Diskutanten Platz. Nigel Don ist Politiker und sitzt seit nunmehr sechs Jahren für die Nationalpartei SNP in Holyrood, dem schottischen Parlament. Heute ist er von Edinburgh in den Universitätsort St. Andrews gereist, um im Rahmen einer Debatte des örtlichen Debattierklubs auf Seiten der Befürworter für ein unabhängiges Schottland einzutreten.
Er wird es an diesem Abend schwer haben, die rund 200 anwesenden Studenten vom Programm seiner Partei zu überzeugen. Auch wenn St. Andrews mit seinen traditionell konservativen Werten üblicherweise als nicht repräsentativ für den Rest des Landes gilt, spiegelt die Meinung der Studenten wider, was sich laut Umfragen mehr als die Hälfte aller Schotten denken: "Devolution", sprich weitgehende Regionalisierung und Dezentralisierung - yes, please. Aber Unabhängigkeit? No, thank you.
Im Herbst letzten Jahres räumte der britische Premier David Cameron mit der Unterzeichnung der "Edinburgh Vereinbarung" den Schotten das Recht ein, selbst über ihren Verbleib im Vereinigten Königreich zu bestimmen. Das historische Referendum wurde gestern, Freitag, für den 18. September 2014 anberaumt - bis dahin gilt es für die SNP aber noch, ihr eigenes Volk zu überzeugen.
Als treibende Kraft hinter den Unabhängigkeitsbestrebungen hat die Schottische Nationalpartei seit ihrer Gründung 1934 einen langsamen, aber steten Aufstieg in der schottischen Politik hinter sich. Heute sind viele der Meinung, es gebe die Unabhängigkeitsbewegung ohne kräftiges Zutun der SNP überhaupt nicht. Trotz unablässigem Werben für die Abtrennung vom Vereinigten Königreich, mit dem Schottland seit mehr als 300 Jahren verbunden ist, will der Nationalismus aber noch nicht so wirklich in den Herzen der Schotten aufflammen. Da helfen auch Versuche, die Schlacht von Bannockburn, in der das schottische Heer dem englischen im 14. Jahrhundert eine empfindliche Niederlage zufügte, zur Wiege des schottischen Nationalstolzes hochzustilisieren, nicht viel.
Schlacht von Bannockburn?
"Es würde mich wundern, wenn die Mehrheit der Schotten wüsste, was es mit der Schlacht von Bannockburn überhaupt auf sich hat. Außerdem ist das schon so lange her und hat mit der heutigen Zeit so gut wie gar nichts zu tun", gibt sich Jennifer, Studentin aus Glasgow, skeptisch. Trotzdem dürfte es Regierungschef Alex Salmond gerade recht kommen, dass sich 2014, im Jahr der Volksabstimmung, die Schlacht zum 700. Mal jährt. Indes rattert auch die PR-Maschinerie auf Hochtouren: Freiwillige Helfer der "Yes-Kampagne", die die Schotten für ein "Ja"-Votum gewinnen soll, teilen Broschüren aus und werden nicht müde, die Besonderheit der "schottischen Identität" zu betonen.
Sei es Schottlands Einstellung der EU gegenüber, seine Vorreiterrolle im Bereich erneuerbarer Energien oder seine Ablehnung von Atomwaffen - "Schottland ist ganz einfach anders", ist sich auch Nigel Don sicher. Dass die Regierung in Edinburgh als weitaus pro-EU gesinnter gilt als Downing Street, ist nicht erst seit Camerons Zusage für eine Abstimmung über den EU-Austritt Großbritanniens so. Als Vorreiter in Sachen erneuerbarer Energiequellen ist Schottland das Atomwaffenarsenal der Insel schon längst ein Dorn im Auge, ganz besonders weil die mit ballistischen Interkontinentalraketen "Trident" bestückten U-Boote seit jeher an der Ostküste Schottlands stationiert sind. Das soll sich laut Salmond in einem unabhängigen Schottland ändern.
Die Verfechter eines Verbleibs Schottlands im Vereinigten Königreich betonen indes die Bedeutung der schottisch-englischen Partnerschaft. "Schottland geht es gut, gerade weil es zum Vereinigten Königreich gehört", so Willie Rennie, Vorsitzender der Schottischen Liberaldemokraten. Schottland sei erfolgreich in der Union - und so soll es auch bleiben. "Was wir in der derzeitigen Finanzkrise sicher nicht brauchen können, ist noch mehr Ungewissheit."
Unsicherheit und Verwirrung scheinen jedoch bei einem Entscheid für die Unabhängigkeit programmiert zu sein; angefangen mit Schottlands Mitgliedschaft in internationalen Organisationen und der EU, bis hin zu ungeklärten Verteidigungsfragen und den Auswirkungen einer möglichen schottischen Unabhängigkeit auf ähnliche Bestrebungen in anderen Teilen Europas. Die Regierungen in Spanien und Belgien blicken daher besonders gebannt auf den möglichen Präzedenzfall in Großbritannien.
Sozialeres Schottland?
Um Ungewissheiten aus dem Weg zu räumen und Klarheit zu schaffen, will die schottische Regierung im November ein Weißbuch über die mögliche zukünftige Struktur eines unabhängigen Schottlands herausbringen. Am 11. Februar veröffentlichte die Regierung in London bereits eine Studie zur Rolle Schottlands innerhalb des Königreichs und zu möglichen Konsequenzen einer Loslösung. Am Tag davor hatte sich Premier Cameron öffentlich für einen Verbleib Schottlands in Großbritannien ausgesprochen.
Als letzter Redner des Diskussionsabends in St. Andrews ergreift schließlich Alistair Beaton, einstiger Redenschreiber des ehemaligen britischen Premiers Gordon Brown, das Wort. Für ihn mache ein unabhängiges Schottland schlichtweg keinen Sinn. "Ein solches Schottland würde aber zumindest versuchen, die sozialen Ungleichheiten auszubügeln", wirft Claudio, ein gebürtiger Italiener und begeisterter Anhänger der "Yes-Kampagne", ein. "Das Vereinigte Königreich ist ja derzeit eines jener Länder mit der größten sozialen Ungleichheit der westlichen Welt."
Am Ende der Debatte stimmen 16 der fiktiven Wähler im Publikum für ein unabhängiges Schottland. 124 sind dagegen.