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Ungewohnte Zurückhaltung

Von Diljana Lambreva

Gastkommentare

Bulgariens Regierungschef Bojko Borissov ist in der Regel für provokante Sager gut. Beim Roma-Problem hält er sich ausnahmsweise zurück.


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Nach dem Eklat um die massenhaften Ausweisungen von Roma aus Frankreich fühlen sich immer mehr Staats- und Regierungschefs der EU von dieser Angelegenheit betroffen. Sie versuchen, die ungeklärte Lage der Roma weg von der nationalen Problematik zu bringen und zu einem gemeinsamen Anliegen der Europäischen Union heranwachsen zu lassen. Deshalb hat das Roma-Thema zu Recht auch den EU-Sondergipfel am Donnerstag in Brüssel zum größten Teil geprägt.

Eine Ausnahme bildet Bulgariens Premierminister Bojko Borissov, der eigentlich neben seinem rumänischen Kollegen Emil Boc die aktivste Rolle in der Debatte einnehmen sollte. Borissov hat jedoch erklärt, dass "Bulgarien bezüglich der Roma keine Probleme mit Frankreich hat, Frankreich auch keine mit Bulgarien". Eine Einmischung in die Kontroverse zwischen Frankreich und der EU sei also fehl am Platz.

So eine Haltung mag in den anderen EU-Ländern für Staunen sorgen, nicht aber in Bulgarien, wo Borissov berühmt ist für Volksnähe und Sager, die seine politische Einstellungen transparent machen. In seiner stürmischen Polit-Karriere ist er mehrmals in die Bahn der rechtsnationalistischen Rhetorik abgedriftet.

Beispielsweise rechtfertigte er die Zwangsbulgarisierung der bulgarischen Türken während des Sozialismus und sprach sich dagegen aus, dass Homosexuelle Spitzenpositionen in der Politik einnehmen. Die bulgarischen Wähler unter den Roma, Türken und Pensionisten bezeichnete er als "Bürger von schlechter Qualität". Vor den Parlamentswahlen 2009 warb Borissov bei einem USA-Besuch unter den Auslandsbulgaren für seine Mitte-Rechts-Partei Gerb und klagte dabei über die ungünstige Wahlsituation: In Bulgarien gäbe es schlechtes Menschenmaterial, meinte Borissov gegenüber der Tageszeitung "Sega": "Was ist die Basis der Bevölkerung momentan? Eine Million Zigeuner, 700.000 bis 800.000 Türken, 2,5 Millionen Rentner." Das Potenzial der Bulgaren sei daher nicht beneidenswert, die neuen Parteien täten sich schwer bei der Auswahl von Parteileuten.

In der Ukraine und in Ungarn habe man es dagegen viel leichter mit den Minderheiten, darunter auch mit den Bulgaren: "Die Bulgaren in der Ukraine werden langsam assimiliert, weil sie qualitätsvolles Material darstellen", so Borissov wörtlich.

Die PR-Leute versuchten den Skandal zu vertuschen. Sie hätten sich die Mühe sparen können, denn der Durchschnittsbulgare ist zu Minderheiten, insbesondere zu Roma, nur dann tolerant, wenn er sie via Fernsehen erlebt, weit weg von seiner eigenen Tür. Vorurteile und Stigmata haben sich in den vergangenen Jahren leider verfestigt statt langsam zu verschwinden.

Kein Wunder also, dass Borissov und seine Partei Gerb - übrigens die Abkürzung für "Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens" - bei den Parlamentswahlen im Juli 2009 auf 39,7 Prozent der Stimmen kamen. Borissovs Kabinett wurde als Minderheitsregierung von Parteien des rechten Spektrums und von der EU-feindlichen Nationalisten-Partei Ataka ("Attacke") unterstützt.

Borissov versucht nun die Bulgaren zu überzeugen, dass es angesichts des erwünschten Schengen-Beitritts für Sofia ratsam wäre, sich bei etlichen EU-Streits still zu verhalten. Solchen Aussagen können nur diejenigen Glauben schenken, die seine frühere Statements vergessen haben.

Diljana Lambreva ist Journalistin in Sofia und Wien.

* Die Tribüne gibt ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und muss sich nicht mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken. "