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Ungleiche Gesundheits-Chancen

Von Christa Karas

Wissen

Sie greifen öfter zu Dingen, die schädlich sind, gehen - selbst im Krankheitsfall - seltener zum Arzt, nehmen noch seltener das Angebot von Gesundenuntersuchungen wahr und brechen notwendige Therapien eher ab als andere: Experten erklären dies in der Regel damit, dass Angehörige der sozialen Unterschichten ein weniger stark ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein als Mittel- und Oberschichtsangehörige haben.


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Faktum ist, dass Angehörige dieser Schichten im Vergleich zu den anderen ein erhöhtes Erkrankungs- und Sterberisiko haben. Und zwar eben nicht nur wegen ihrer objektiv schlechteren Lebensbedingungen, sondern auch deshalb, weil sie professionelle Gesundheitsleistungen (s. o.) weniger in Anspruch nehmen.

Die Gesundheitsökonomin Mag. Claudia Habl vom Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) erläuterte dies unter Bezugnahme auf eine 1999 durchgeführte ÖBIG-Untersuchung vor kurzem bei einer Fachtagung: "Sogenannte Unterschichtsangehörige haben ein eher mechanistisches Körperbild, verbunden mit einer erhöhten Symptomtoleranz. Für sie ist die Medizin tendenziell Reparaturmedizin, die sie meist auch noch verspätet in Anspruch nehmen. Dies hängt damit zusammen, dass Gesundheit für sie insgesamt einen nicht sehr hohen Stellenwert hat. Aber auch damit, dass sie gesundheitliche Defizite oft erst sehr spät wahrnehmen."

Insgesamt, so Habl und andere Experten, misstrauen Angehörige dieser Schicht dem Geundheitssystem - und zwar weil sie mit dessen Akteuren, also vor allem den Ärzten, oft negative Erfahrungen gemacht haben. Häufigste Kritikpunkte: Ärzte, die kaum oder gar nicht auf die Situation der Betroffenen eingehen, sich nicht mit sprachlichen Hürden (etwa im Fall von Migranten) auseinander setzen und die intellektuelle Barrieren noch forcieren.

Dies gehe so weit, dass Ärzte sogar Spielchen damit trieben: Nur wer die Therapieanweisungen - oft im Fachjargon gehalten - verstehe, sei auch der Therapie würdig, wenn nicht: Pech gehabt. Die Verlierer stehen damit von vornherein fest, schon deshalb, weil sie sich nicht trauen, nachzufragen.

Gegen weitere Probleme wie die häufig sehr weiten Anfahrtswege zum Arzt oder die Kinderbetreuung während des Arztbesuches könnten, so das ÖBIG, mobile Kliniken und veränderte Öffnungszeiten von Ordinationen oder Kinderbetreuungseinrichtungen helfen.

Insgesamt werden die Verantwortlichen aber auf Dauer nicht mehr um das grundsätzliche Problem herumkommen: Gesundheitsbewusstsein und Körpergefühl müssen gelehrt werden, und zwar schon von frühester Kindheit an. Ein bissl Turnen, richtiges Zähneputzen und missverständliche Sexualaufklärung sind zu wenig. Wie es richtig wäre, zeigt das Beispiel der VR China.