Die Regierungspartei PiS will die journalistische Landschaft in Polen umkrempeln. Das Start-up "Oko Press" hält dagegen.
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Warschau. Edward Krzemien ist kein Mann, der sich ein Blatt vor den Mund nimmt. "Unser Premierminister hält es nicht besonders genau mit der Wahrheit", sagt er. "In jedem Satz finden wir drei bis vier Lügen. Er ist unser Donald Trump."
Ein unscheinbarer Wohnblock im Süden des Warschauer Stadtzentrums. Keine Türglocke, kein Schild weist darauf hin, dass hier das regierungskritische und zugleich erfolgreichste polnische Medien-Start-up beheimatet ist. Im letzten Stock haben sich die Redakteure des Online-Mediums "Oko Press" in einer großen, zweistöckigen Wohnung eingemietet. Es ist ein warmer Mittag in der polnischen Hauptstadt, durch die große Fensterfront wiegen sich die Baumkronen im warmen Herbstwind.
Krzemien ist ein gut gelaunter 72-Jähriger in Rollkragenpullover und Brille, dem man sein Alter nicht ansieht. Er führt durch die Redaktionsräume. Drei Redakteure sitzen an einem langen Holztisch und tippen in ihre Laptops. Auf einer weißen Schreibtafel an der Wand sind die Stichworte zu den Artikeln aufgelistet, die heute im Zweistundentakt online gehen: Wie etwa ein Text über die umstrittenen Reprivatisierungen von Immobilien in Warschau oder ein Faktencheck zu den jüngsten Aussagen eines Regierungssprechers. "Die Regierung hat behauptet, die liberale Vorgängerregierung hätte in ihrer achtjährigen Amtszeit keine neuen Straßen in Polen gebaut", sagt Krzemien und grinst. "Das ist natürlich totaler Unsinn."
Mediengesetz sichert Posten
Krzemien strahlt die heitere Gelassenheit eines Menschen aus, der sich sicher ist, auf der richtigen Seite der Geschichte steht. In den 1980er Jahren hat der studierte Elektrotechniker mitgeholfen, diverse Untergrundzeitungen der Solidarnosc-Bewegung unter das Volk zu bringen und später auch selbst für sie geschrieben, wie für die erste unabhängige Zeitung nach der Wende, die "Gazeta Wyborcza". Dort hatte er auch die Onlineredaktion geleitet, seit 2016 ist er Autor bei Oko Press.
Polen ist polarisiert, und Polen polarisiert. Während die nationalkonservative Partei PiS seit ihrem Wahlsieg vor drei Jahren mit großen Schritten darangegangen ist, die Republik - Stichwort: "guter Wandel" - umzubauen, hat die EU-Kommission bereits mehrere Verfahren gegen Warschau eingeleitet, weil sie die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Gefahr sieht. Die polnische Medienlandschaft galt schon lange als polarisiert, doch mit dem PiS-Wahlsieg haben sich die Gräben noch einmal vertieft, über die sich die verfeindeten Lager ihre Giftpfeile zuschießen. "Volksverräter" und "Nestbeschmutzer" sind die Journalisten, die PiS kritisieren und Polen im Ausland schlechtmachen. "Propagandisten" werden jene geschimpft, die medial für die Partei des Politikers Jaroslaw Kaczynski in den Ring steigen.
Oko Press ist freilich dem regierungskritischen Lager zuzurechnen. Das Medien-Start-up wurde vor zwei Jahren gegründet. Einerseits als Experiment, mit einer Anschubfinanzierung der liberalen Zeitung "Gazeta Wyborcza" und dem Nachrichtenmagazin "Polityka" unterstützt, um sich als neues Online-Medium zu etablieren. Aber andererseits auch, um wenige Monate nach der PiS-Machtübernahme die Nachrichten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf ihren Wahrheitsgehalt abzuklopfen und über die Anti-Regierungsproteste zu berichten.
Damit scheint Oko Press einen Nerv getroffen zu haben: Inzwischen kann sich das werbefreie Projekt zu 90 Prozent über Crowdfunding finanzieren und hat monatlich 850.000 Nutzer, berichten die Medienmacher. Möglich, dass es auch hier einen "Trump-Effekt" gibt: Wie zuletzt in den USA, wo trotz "Fake News"-Vorwürfen das Vertrauen in die Printmedien wieder gestiegen ist und die "New York Times" die Zahl ihrer Onlineleser von 2015 bis 2017 mehr als verdoppeln konnte.
"Wir waren aber selbst geschockt über das Ausmaß der Lügen", räumt die Redakteurin Agata Szczesniak ein. Gerade hat die studierte Soziologin einen Artikel über den Film "Kler" publiziert, einem Spielfilm über Pädophilie, Doppelmoral und Korruption im polnischen Klerus, an dem sich derzeit in Polen die Geister scheiden. Von Filmkritikern gelobt und sogar ausgezeichnet, von der nationalkonservativen Regierung sowie in der wichtigsten polnischen Nachrichtensendung als ein Werk "der fünften Kolonne Satans" oder als "schäbige Verleumdung" verrissen. Vorwürfe, die Szczesniak wiederum in ihrem Artikel auf Oko Press zerpflückt.
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat in Polen Gewicht: Es wird geschätzt, dass sich zumindest jeder dritte Pole fast ausschließlich dort informiert. Dort werde aber inzwischen ganz unverhohlen Propaganda gemacht: "In der Regierung sind die Guten, in der Opposition die Bösen", sagt Szczesniak. Zwar habe das Staatsfernsehen auch unter der liberalen Vorgängerregierung nie ganz objektiv berichtet, "aber es war trotzdem viel ausgewogener, als jetzt", sagt sie. Durch ein 2016 verabschiedetes Mediengesetz kann die Regierung zudem heute direkt Schlüsselpositionen in den staatlichen Radio- und Fernsehstationen Einfluss besetzen. Das schlägt sich auch in der Einseitigkeit der Berichterstattung nieder: PiS bekommt heute doppelt so viel Sendezeit wie alle anderen Parteien zusammen, hat Szczesniak zuletzt für einen Beitrag zusammengerechnet. "Wir können gar nicht alle Lügen aufdecken", sagt sie, und lacht: "Und auf Dauer ist es auch ziemlich ungesund, sich ständig mit dieser Propaganda auseinanderzusetzen."
Über eine steile Stiege geht es in das Dachgeschoß, wo die Investigativreporter sitzen, die gerade Mittagspause machen. Woran sie gerade arbeiten? "Streng geheim!", sagt Bianka Mikolajewska, und tunkt ihr Sushi in die Sojasauce. Die Chefin des Investigativressorts wurde mehrmals zur Journalistin des Jahres gewählt. Am nächsten Tag soll ein Artikel über die kriminelle Vergangenheit eines neuen Mitglieds des nationalen Wahlkomitees, von PiS nominiert, online gehen. Es sind die Investigativberichte, mit denen sich Oko Press einen Namen gemacht hat: "Osrodek Kontroli Obywatelskiej, zu Deutsch: "Zentrum der bürgerlichen Kontrolle." Oder kurz oko - das "Auge".
Im Pressefreiheits-Index von Reporter ohne Grenzen ist Polen innerhalb von nur drei Jahren von Platz 18 auf Platz 58 gefallen. "Doch im Gegensatz zu Ungarn hat Polen noch immer eine vielfältige private Medienlandschaft, mit Medien, die äußerst kritisch zur Regierung sind", schreibt Freedom House in einem Bericht. Was auch daran liegt, dass der private Medienmarkt stark diversifiziert ist: Ausländische Medienhäuser kontrollieren etwa zwei Drittel des polnischen Medienmarktes, unter ihnen vor allem deutsche Verlage wie etwa die Bauer Media Group oder Ringier Axel Springer. Die Verlagsgruppe Passau gibt über den Verlag Polska Press rund 20 Regionalzeitungen heraus und erreicht somit laut eigenen Angaben 6,3 Millionen Leser täglich.
Pläne zur "Repolonisierung"?
Doch das muss nicht so bleiben. Das PiS-Lager rund um Jaroslaw Kaczynski lässt keine Gelegenheit aus, gegen den "deutschen Einfluss" in den Medien zu wettern. Immer wieder denken Politiker laut über ein Gesetz zur "Repolonisierung" nach, um den Anteil ausländischer Eigentümer am polnischen Medienmarkt zu beschränken. Kritiker fürchten, dass ein derartiges Gesetz noch vor den Parlamentswahlen 2019 umgesetzt werden könnte.
Weiters versuche die Regierung, den Druck auf kritische Medien über staatsnahe Unternehmen zu erhöhen, schreibt Freedom House: "Wenngleich die Partei PiS keine kritischen Medien geschlossen hat, legen die Mediendaten nahe, dass Werbegelder von staatlichen Unternehmen zugunsten konservativer Medien umgeschichtet werden." Liberale Medien wie die "Gazeta Wyborcza" werden ausgehungert, während loyale Medien wie "Do Rzeczy" oder "Gazeta Polska" mit staatlichen Geldern gefüttert werden. "Deswegen stellt sich die Frage, wie lange diese Medien noch überleben können", so Freedom House weiter.
Wie lange kann sich Oko Press noch finanzieren? Mit einer klaren Prognose halten sich die Medienmacher zurück. "Das ist nun mal Teil des Experiments", sagt Szczesniak schulterzuckend. "Wir werden sehen."
Online-Porta "Oko Press" (Polnisch)