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Ungleichgewichte

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Europa hat ein Verfahren entwickelt, um makroökonomische Ungleichgewichte im gemeinsamen Währungsraum zu beseitigen. Europäisches Semester nennt sich das Ding. Warum, ist schwierig zu erklären, in der Öffentlichkeit ist es ohnehin so gut wie unbekannt, daher lassen die meisten Medien auch die Finger davon. Konkret prüft die EU-Kommission einige Parameter wie Budgetentwicklung, Leistungsbilanz, Höhe der Kreditvergaben, Exportanteile und Ähnliches.

Sozialpolitische Themen sind eher unterrepräsentiert, wie ja auch bei den sogenannten Mastricht-Kriterien die Arbeitslosenrate nicht vorkommt - dafür Zinssätze.

Das führt dazu, dass die Europäische Union weiterhin auseinander driftet, und zwar in mannigfaltiger Weise. In den südeuropäischen Ländern etwa, also jenen mit den größten Schulden, liegt das durchschnittliche Vermögen je Haushalt doch deutlich über jenem in Deutschland, auch über jenem in Österreich. Der reiche Norden ist im privaten Bereich also so reich nicht, und der arme Süden ist im privaten Bereich das Gegenteil davon.

Eigentlich müsste es Druck der Europäischen Union auf Italien geben, seine wohlhabenden Bürger stärker zur Kasse zu bitten und mit diesen Steuereinnahmen industrielle Investitionen zu unterstützen. Immerhin war es Ex-Premier Silvio Berlusconi, der (sich und) den Reichen Steuererleichterungen gewährte. Die Arm-Reich-Schere in den meisten Ländern bleibt überhaupt unberücksichtigt.

Wenn also schon von den schädlichen Auswirkungen der "Ungleichgewichte" in der Europäischen Union geredet wird, wäre es dringend notwendig, die Ungleichgewichte bei deren Betrachtung zu beseitigen.

Umgekehrt muss ein Land auch dafür sorgen, etwaige Überschüsse nicht in den Himmel wachsen zu lassen. Das sollte auch nicht so sein, aber im Fall des Falles gibt es auch keine Sanktionen. Europa tut also weiter wie bisher, etwas besser dokumentiert. Die Deutschen werden exportieren, die reichen Italiener kaufen.

Und während Beamte der EU-Kommission motiviert die Unterschiede der europäischen Leistungsbilanzen ergründen, werden noch ein paar weitere hunderttausend Jugendliche arbeitslos - und das eigentlich wunderbare Projekt Europa wird endgültig aus dem Gleichgewicht geraten.