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Uni-Forschung als Marionettentheater

Von Christa Karas

Wissen

Von "wichtigen Synergieeffekten" sprechen Politiker, wenn von der Allianz zwischen Universitäten und Wirtschaft die Rede ist. Vor allem die USA und Japan gelten hier als Vorzeigemodelle öffentlicher, zum Teil aber privat finanzierter Forschung: Siehe das Parademodell UCLA/Novartis. Übersehen oder in Kauf genommen wird dabei freilich, dass das so gern zitierte Modell von "Forschung, die sich bezahlt macht" - oder vielmehr: Forschung, die derart unterhalten wird - häufig der von der Wissenschaft geforderten Objektivität entbehrt und in eine bedenkliche Abhängigkeit zum Sponsor geraten kann. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung führender Fachmedien zu sehen, künftig insbesondere jene Studien gründlicher zu prüfen, die von Pharma-Firmen in Auftrag gegeben worden oder unter deren Patronanz entstanden sind.


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Gewiss, neu ist das Problem ja nun nicht, sind doch Veröffentlichungen in der angesehenen Fachpresse die besten Marketinginstrumente sowohl für die federführenden Wissenschafter/Studienautoren als auch für die Firmen, die etwa neue Medikamente entwickeln und in Szene setzen wollen. Schon vor fast zehn Jahren untersuchte der schwedische Wissenschafter U. Ravnskow die Gründe für Veröffentlichungen oder Ablehnungen von Studien, in diesem Fall zum Thema Cholesterin.

Ravnskow prüfte also auf der Grundlage des "Science Citation Index", wie häufig jeweils positive und negative Studienergebnisse von der Fachwelt zitiert wurden (die häufige Namensnennung eines Wissenschafters ist bekanntlich gleichbedeutend mit dessen Aufstieg und Prestige in der Scientific Community).

Feindbild Cholesterin

Das bemerkenswerte Ergebnis dieser Untersuchung: Studien, die ins gängige "Cholesterin-Feindbild" passten, wurden gleich sechs Mal häufiger zitiert als die kritischen. Und, so Ravnskow weiter: "Nach 1970 wurden Studien, die nicht ins Bild passten, überhaupt nicht mehr zitiert, obwohl ihre Anzahl etwa gleich groß war wie die der Befürworter." (Wozu noch erwähnt sei, dass sämtliche Studien gleichermaßen ergaben, dass eine Senkung des Serumcholesterins keinerlei Einfluss auf die Lebenserwartung und die Infarktzahl hatte.)

Eine ähnliche Untersuchung von Mildred Cho und Lisa Bero kam 1996 im Fachjournal "The Annals of Internal Medicine" zum Schluss, dass Forschungen über neue Medikamente häufiger zu positiven Ergebnissen kamen, wenn sie von Pharmakonzernen gefördert wurden. Ergänzend dazu befand eine Untersuchung der Nothwestern University, dass Forschungen über neue Krebsmittel fast achtmal seltener zu negativen Ergebnissen kamen, wenn sie von privaten Firmen gesponsert worden waren.

Schoko-Schmäh und Fette zum Abnehmen

Die Forscher wissen also, was von ihnen erwartet wird, und nicht immer ist ihre Handlangertätigkeit so harmlos wie beim "Schoko-Schmäh": Erst im Vorjahr hatte eine viel beachtete Gesundheitsstudie der Davis-Universität (Kalifornien) behauptet, der Genuss von Schokolade sei gut für´s Herz. Erst später wurde - freilich kaum öffentlich - bekannt, dass dahinter Mars/Master Foods als Finanzier steckte.

Doch damit nicht genug: Kaum hatten Ernährungswissenschafter jüngst alle Hoffnungen auf irgendwelche positiven Effekte von Schokolade zerstreut und obendrein auf die negativen (Fett, Zucker) verwiesen, trat der US-Ernährungsforscher Carl Keen zu deren "Ehrenrettung" auf den Plan und verkündete Anfang des Monats im schottischen Glasgow, dass "bestimmte Inhaltsstoffe, so genannte Flavanoide die Blutgerinnung herabsetzen und das Herz stärken."Keen et al wollen dies durch Blutproben an mehreren Versuchspersonen herausgefunden haben, von denen ein Teil Brot und der andere 25 g Schokolade bekam.

Das Ergebnis kann man sich auf der Zunge zergehen lassen, weshalb es hier unkommentiert aus den Agenturmeldungen wiedergegeben sei: Die Forscher "stellten fest, dass die Blutplättchen der Schokoladengruppe weniger aktiv waren als die der Brotesser. Die Blutplättchen sind wesentlicher Bestandteil des Gerinnungsvorgangs. Wissenschafter vermuten, dass ihre Aktivität Infarkte und Schlaganfälle fördern kann".

Über die Förderung solcher Forschung darf in diesem Fall ebenso spekuliert werden wie im folgenden, nach dem "eine neue Fettart Übergewichtigen das Abnehmen leichter machen" soll. "So genannte MCT-Fette, die mit einem speziellen Verfahren aus Kokosfett und Palmöl gewonnen werden, eignen sich sowohl zur Gewichtsreduktion als auch zur Vorbeugung von Übergewicht, wie das Deutsche Institut für Ernährungsmedizin und Diätik (DIET) in Hamburg mitteilte. Zum Beleg stellte das Institut eine neue Studie der Universität Prag vor, in der normale Fette durch MCT-Fette ersetzt wurden", so eine Agenturmeldung in der Vorwoche.

Und weiter im Text: "Dabei erzielten die Teilnehmer während einer 28-tägigen Diät mit MCT-haltigen Lebensmitteln einen Fasteneffekt von zwei bis drei Tagen. Zugleich ergab die Untersuchung, dass die Teilnehmer 110 Kalorien täglich zusätzlich aufnehmen konnten, ohne dass dies zu einer Gewichtszunahme führte. Nach Ansicht des Kieler Ernährungswissenschafters Walter Feldheim sind die Ursachen für den positiven Effekt der neuen Fettart noch nicht geklärt. Der Einsatz der MCT-Fette in Lebensmitteln sei jedoch eine effektive Hilfe bei der Bekämpfung des Übergewichts."

Manipulierte Tests von Medikamenten?

Allein, das sind Petitessen im Verhältnis zu den Problemen, denen sich die renommierten Fachblätter gegenüber sehen. Zwölf von ihnen, darunter "The Lancet", das "New England Journal of Medicine" und das "Journal of the American Medical Association" - aus deren Veröffentlichungen Medien weltweit zitieren - haben nun die internationalen Pharma-Firmen beschuldigt, Tests neuer Medikamente zu ihren Gunsten zu manipulieren.

Die Herausgeber kündigten in einer gemeinsamen Erklärung an, künftig vor der Veröffentlichung ein kritischeres Auge auf die vorgelegten Testergebnisse zu werfen - und diese notfalls nicht zu publizieren. Um sicher zu stellen, dass keine schädlichen Medikamente auf den Markt kämen, müssten die Tests an Patienten von unabhängigen Wissenschaftern überwacht werden, forderten die Fachblätter. Mehr und mehr Arzneimittel-Firmen sähen in den Tests auf mögliche Nebenwirkungen oder Schäden nur eine lästige Hürde oder betrachteten sie als Mittel, für ihr neues Produkt zu werben, hieß es in der Erklärung weiter.

Da die Firmen Sponsoren der Tests seien, sei es ihnen möglich, die Ergebnisse zu diktieren oder unliebsame Diskussionen über Nebenwirkungen zu unterdrücken. Die Forscher, die mit den Untersuchungen betraut seien, hätten häufig nur "einen geringen oder keinen Einfluss auf den Ablauf der Tests, keinen Zugriff auf die grundlegenden Daten und eine eingeschränkte Teilhabe an der Auswertung der Daten", so die Herausgeber, die sich nun vorbehalten, Veröffentlichungen abzulehnen, wenn diese den Schluss zulassen, dass die Unabhängigkeit der Autoren nicht gewährleistet ist.

Beweise für derartige Manipulationen und Manipulationsversuche gibt es zuhauf. Einen der drastischeren nannte Reinhard Blomert in der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit": "Im Herbst 2000 versuchte die Firma Immune Response Corp. die Universität San Francisco davon abzuhalten, einen Bericht über ein Medikament gegen HIV zu veröffentlichen, der das Mittel als wirkungslos darstellte. Als die Forschungsergebnisse, die Immune Response mitfinanziert hatte, dennoch veröffentlicht wurden, verklagte das Unternehmen die Universität auf Schadenersatz in Millionenhöhe." - Wohl kaum das, was sparsame Politiker unter einer gelungenen Kooperation verstehen dürften.

Doch wo Regierungen ihren Universitäten die Mittel kürzen und diese angehalten sind, sich um andere Geldquellen umzusehen, ist alles möglich - bis hin zum großen Deal zwischen dem Novartis-Konzern und der Abteilung für Pflanzen und Mikrobiologie an der Universität Berkeley (Kalifornien), der die dorige Forschungsgemeinde zutiefst gespalten hat.

Denn während die einen vom "Marktmodell Universität" im Sinne von New Economy schwärmen, aus dessen sich stets erneuerndem intellektuellen Kapital es sich vortrefflich schöpfen lässt (Richard Atkinson, Präsident der Universität Kalifornien), sieht etwa der Rechtsprofessor Robert C. Berring darin den Fall der letzten Forschungsbastion, die bisher nicht per se der Profitorientierung gedient hat. Im Fall des Novartis-Deals erkennt Berring vielmehr einen völligen Bruch in Berkeleys Geschichte, da die Universität erstmals einem Unternehmen erlaube, nicht nur an den Forschungsergebnissen teilzuhaben, sondern dieses sogar über die Forschungsrichtung mitbestimmen lässt. Immerhin stellt Novartis zwei von fünf Mitgliedern des Forschungsgremiums - für Berring ein Verlust der Autonomie der angesehenen Uni, die damit zur "Fakultätsgesellschaft mit beschränkter Haftung wird".

Vertane Chancen, verlorene Unschuld

Wohlgemerkt: Wissenschaftssponsoring wäre im Prinzip höchst begrüßenswert - vorausgesetzt, dass es nicht an konkrete Projekte gebunden ist und nicht der Einflussnahme dient. Vielmehr sollten die Mittel daraus ein Instrument sein, um endlich die öffentlich-wissenschaftliche Kontrolle vor allem über jene Gebiete privater Forschungsprojekte zu erlangen, die ethisch umstritten sind und die sich bisher noch stets solch kritischen Untersuchungen verweigert haben. Doch diese Steuerungschance hat die Politik niemals so recht wahrgenommen und wird es jetzt erst recht nicht tun.

Und Ethik ist sowieso nicht mehr angesagt, seit Wissenschaft zunehmend eng mit Wirtschaft verbunden ist und Forscher von daher Zusatzeinkommen beziehen, die ihr Salär zumindest maßgeblich verbessern, wenn nicht übertreffen. In diesem Kontext muss künftig noch mehr als zuvor leider jede Studien-Veröffentlichung gesehen und sehr kritisch hinterfragt werden.

Quellen: Reinhard Blomert: "Zwischen Humboldt und Coca-Cola", "Die Zeit" Nr.33 vom 9. August 2001; Udo Pollmer u.a.: "Prost Mahlzeit!", Kiepenheuer & Witsch; ORF ON Science: "Pharmafirmen: Profit oder Moral?"; Agenturen APA, AFP, AP, Reuters.