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Zwei Länder müssen in den kommenden Wochen entscheiden, ob sie der Europäischen Union beitreten möchten. Estland und Lettland werden am 14. und 20. September darüber abstimmen, ob sie dem Beispiel ihres baltischen Nachbarn Litauen folgen und ja zur EU sagen. Doch auch wenn aktuelle Umfragen auf eine knappe Mehrheit von BefürworterInnen hinweisen - die EU-Euphorie gehört längst der Vergangenheit an.
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Der Begriff Union hat in Estland und Lettland manchmal einen unangenehmen Beigeschmack. Da können die EU-BefürworterInnen noch so oft argumentieren, dass Sowjet- und Europäische Union ganz und gar nicht miteinander vergleichbar sind. In den ehemaligen Sowjetrepubliken, die vor knapp zwölf Jahren ihre Unabhängigkeit wieder erlangt haben, sitzen die Schreckensbilder oft tief. Diese bediente auch der Vorsitzende der Zentrumspartei Edgar Savisaar, als er Mitte August eine Nein-Kampagne startete. Er bezichtigte die EU "jahrelanger Gehirnwäsche" der Bevölkerung, wie dies ebenso in der UdSSR der Fall war.
Die regierende Rechts-Koalition mit Reformpartei und Volksunion unter Ministerpräsident Juhan Parts bemüht sich allerdings um einen EU-Beitritt. So zeichnet sich derzeit auch eine Mehrheit dafür ab: Laut einer Umfrage des Instituts Emor wollen 62 Prozent der Befragten für einen EU-Beitritt und 30 Prozent dagegen stimmen. Eine einfache Mehrheit am 14. September reicht, das Ergebnis des Referendums ist für das Parlament aber nicht bindend.
In Lettland, wo am 20. September über eine EU-Mitgliedschaft abgestimmt wird, ist eine Mindestbeteiligung vorgesehen. Mindestens 50 Prozent der TeilnehmerInnen an der letzten Parlamentswahl müssen am Referendum teilnehmen - das wären 36 Prozent der Wahlberechtigten. Das Ergebnis ist bindend.
Eine Mehrheit für den EU-Beitritt sei dort nicht gewiss, erklärte der für Europaangelegenheiten zuständige Unterstaatssekretär im lettischen Außenministerium, Armands Gütmanis gestern in Wien. "Die meisten werden wohl dennoch dafür stimmen, weil sie es als geringeres Übel ansehen." So zähle die Hoffnung auf eine bessere Zukunft oft mehr als rationelle Argumente.
Auf der anderen Seite stehen Befürchtungen: vor größerem Wettbewerb innerhalb der EU, zunehmender Bürokratisierung, steigenden Preisen. "Einige fragen sich: Werden die Zuwachsraten in der EU so niedrig wie in anderen Staaten?" griff Gütmanis einen Punkt heraus. Immerhin betrug das BIP-Wachstum im Vorjahr über 6 Prozent. Auch Estland wird für seine konjunkturellen Eckdaten gelobt - etwa vom Internationalen Währungsfonds. Das Wirtschaftswachstum lag dort bei knapp unter 6 Prozent, und statt eines Budgetdefizits gab es einen -überschuss. Estland war es auch, das 1997 als erster baltischer Staat zu EU-Beitrittsverhandlungen eingeladen wurde. Doch viele EstInnen interessieren sich für andere Fragen, wenn sie sich an das estnische EU-Informationszentrum wenden. "Wie soll ich leben, wenn die Preise steigen, mein Lohn aber gleich bleibt?" bekommen die MitarbeiterInnen dort oft zu hören.