Zum Hauptinhalt springen

Unis in Europa: Es gibt nichts zu feiern!

Von Thomas Schmidinger

Gastkommentare

Der Bologna-Prozess ist nicht allein für die Misere der österreichischen Unis verantwortlich, er ist aber ein wesentlicher Teil des Problems. Gemessen an den Zielen des Bologna-Prozesses waren die letzten zehn Jahre ein Fehlschlag. Das für das enge geistige Klima im Land so wichtige Ziel der Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraumes konnte damit jedenfalls nicht erreicht werden.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Dabei hätte eine Öffnung und Europäisierung der Hochschulen und Universitäten in Österreich dazu beitragen können, die Provinzialisierung von Wissenschaft und Forschung - eine bis heute nachwirkende Folge der Vertreibung und Ermordung jüdischer und fortschrittlicher Intellektueller durch die Nazis - zu überwinden. Gerade für die österreichischen Unis, die sich von dieser Zerstörung des intellektuellen Lebens nie völlig erholt hatten und zudem bis heute an postfeudalistischen internen Strukturen leiden, hätte eine solche Europäisierung die größte Chance seit Jahrzehnten bedeuten können.

In der Realität der österreichischen Unis hat der Bologna-Prozess jedoch nicht zu einer Öffnung, sondern nur zu willkürlich vergebenen ECTS-Punkten und zur Einführung eines weder in den Wissenschaften, noch in der Wirtschaft gefragten Bachelors geführt. Durch die mit dem Bachelor verbundene massive Verschulung der Studienpläne und den erhöhten Druck auf Studierende nehmen sich heute nicht mehr, sondern weniger Studierende Zeit für Auslandsaufenthalte oder die Beschäftigung mit Themen, die nicht unmittelbar prüfungsrelevant sind. Der Bachelor brachte keine Europäisierung, sondern eine Nivellierung des wissenschaftlichen Niveaus nach unten.

Vollgestopfte Studienpläne und übertrieben restriktive Voraussetzungsketten behindern eigenständiges und selbstverantwortliches Lernen. Ein lebendiger europäischer Hochschulraum würde jedoch kritische und selbstständig denkende Studierende, Lehrende und Forschende benötigen. Diese finden heute eher einen Platz in der Protestbewegung gegen den Bologna-Prozess als in den derzeitigen Universitäten. Der angestrebte einheitliche europäische Hochschulraum entsteht nicht durch den Bologna-Prozess, sondern durch die europaweiten Proteste gegen den Bologna-Prozess und die Unterordnung der Universitäten unter die Lissabon-Strategie, die Europa - im Übrigen ebenso erfolglos - zum dynamischsten wissensgestützten Wirtschaftsraum der Welt machen wollte.

Das Nachdenken über Alternativen und die Proteste, die sich während der Bologna-Feiern der EU-Wissenschaftsminister auf Wien fokussieren, bieten das Potenzial einer wirklichen Öffnung der Universitäten. Hier entsteht ein kritisches Europa, das Bildung und Wissenschaft wieder als Wert entdeckt.

Thomas Schmidinger ist Lektor am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien und Präsident der IG externe LektorInnen und freie WissenschafterInnen.