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Unklare Perspektiven für Belgrad

Von AnalyseWolfgang Tucek

Europaarchiv

Österreich will Annäherungsgespräche mit EU forcieren. | Sorge vor Wahlen im Jänner. | Österreich findet, die EU könnte mehr für Serbien tun. Denn das befindet sich in einer äußerst brisanten Lage. Die Serben fühlen sich zunehmend isoliert, das heizt die Radikalisierung an. Seit dem Zerfall Jugoslawiens dürfen sie nur noch mit teuren Visa in die Länder der Union reisen. Mit dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens Anfang 2007 fährt eine weitere Mauer hoch. Und das Staatsgebiet wird enger.


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Erst im Frühjahr hat sich Montenegro per Referendum losgesagt. Gleich nach den serbischen Wahlen am 21. Jänner will UNO-Chefverhandler Matti Ahtisaari seinen Plan für den künftigen Status des Kosovo präsentieren. Der Westen setzt weitgehend auf die Unabhängigkeit der unter UNO-Verwaltung stehenden südserbischen Provinz mit albanischer Bevölkerungsmehrheit. Belgrad hat den Kosovo dagegen in seiner neuen Verfassung als "integralen Bestandteil Serbiens" festgeschrieben. Bestrebungen, die Provinz vom UNO-Sicherheitsrat für unabhängig erklären zu lassen, stoßen auf den Widerstand der Vetomacht Russland. Das will nur einer Lösung zustimmen, mit der auch Serbien leben kann. Der Hintergrund: Moskau befürchtet, dass bis zu 90 Regionen der riesigen Föderation den Kosovo als Präjudiz für ihre eigene Zukunft missverstehen könnten.

Im Kosovo selbst werde sich die Sicherheitslage um den neuralgischen Wahltermin "anspannen", warnen Experten bereits - vor allem in den Siedlungsgebieten der serbischen Minderheit um Mitrovice. Und Serbien sei ein "Schlüsselland" für die Stabilität der gesamten Region.

Debatte um Mladic

Da hält es Österreich für angemessen, dass die EU den gemäßigten Kräften in Belgrad so weit wie möglich entgegenkommt. Gemeinsam mit Italien, Ungarn und Slowenien setzt es sich offen für die Fortsetzung der Annäherungsgespräche an die EU ein, obwohl Serbien noch immer nicht vollständig mit dem UNO-Kriegsverbrechertribunal (ICTY) in Den Haag zusammenarbeitet. Wien rät, die Auslieferung des als Kriegsverbrecher gesuchten serbischen Ex-Generals Ratko Mladic erst mit dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen - über das so genannte Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) - zu verknüpfen und nicht mit deren Verlauf. Stillschweigend könnten das bis zu 50 Prozent der EU-Länder für eine gute Idee halten, hieß es.

Derzeit liegen die SAA-Gespräche wegen des flüchtigen Mladic auf Eis. Ihm wird vor allem die Verantwortung für das Massaker an bis zu 8000 bosnischen Zivilisten in Srebrenica 1995 zugeschrieben. Belgrad hat trotz gegenteiliger Zusagen einige Fristen zur Auslieferung verstreichen lassen, argumentieren die Befürworter des Status Quo. Und es handle sich keineswegs um eine "verschärfte Position", das ICTY-Kriterium gelte "seit Jahren".

Serbien müsse seine schwierige jüngste Vergangenheit frühzeitig in seinem Annäherungsprozess an die Union aufarbeiten. Und immerhin feilt die EU an Visa-Erleichterungen für Serben. Die Nato hat Serbien trotz der Nichterfüllung der Mladic-Bedingung in die sogenannte Partnerschaft für den Frieden aufgenommen.

Siegen Nationalisten?

Doch das Land steht kurz vor einem mit hitzigsten Emotionen beladenen Einschnitt in seine staatliche Integrität. Die EU-kritischen Kräfte von der Serbischen Radikalen Partei des beim ICTY einsitzenden Vojislav Seselj liegen in Umfragen konstant um die 30 Prozent oder sogar deutlich darüber. Nur "mit etwas Glück" werde eine gemeinsame Regierung mit der Sozialistischen Partei Serbiens des in Den Haag verstorbenen Ex-Präsidenten Slobodan Milosevic nach den Wahlen im Jänner abzuwenden sein, heißt es.

Eine kooperative und stabile Regierung in Belgrad ist für das Gelingen des Kraftakts, dem Kosovo eine friedliche Zukunft des Kosovo ganz entscheidend. Da scheint eine Neubewertung der SAA-Situation durch die EU nicht zu viel verlangt, meint Österreich.

Erweiterungskommissar Olli Rehn rät den Serben stets, in die europäische Zukunft und nicht in die nationalistische Vergangenheit zu blicken. Ein Sprung der Union über ihren Schatten könnte Belgrad dies deutlich erleichtern.