Regierungskoalition scheint trotz jüngster Turbulenzen zu halten.
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Athen. "Das Gericht hat eben entschieden!" Wie aufgeschreckte Hühner liefen vor dem Athener Amtssitz "Megaron Maximou" von Premierminister Antonis Samaras plötzlich ein halbes Dutzend Reporter vor die Kameras, um die Nachricht in Live-Schaltungen zu verkünden. Ganz Hellas hat auf den Erlass der Einstweiligen Verfügung des Obersten Verwaltungsgerichts im Lande gewartet. Auch der eigens anberaumte Athener Koalitionsgipfel, der da schon über eine Stunde im "Megaron Maximou" währt, ist extra unterbrochen worden, um davon Kenntnis zu nehmen.
Doch wer glaubte, das hohe Gericht würde im spektakulären Fall um die von Samaras am vorigen Dienstag handstreichartig veranlasste Abschaffung von Griechenlands Staatssender ERT Klarheit schaffen, der irrte gewaltig. Die Athener Koalition, die Opposition, Juristen und Journalisten streiten sich seit dem Urteil am Montagabend darüber, wie es mit ERT konkret weitergehen soll.
Nach dem Gerichtsbescheid ist nur klar: Schwarze Bildschirme sind auch in Hellas tabu. In Griechenland muss es ein öffentlich-rechtliches Fernsehen und Radio geben - ohne Unterbrechung. Unklar bleibt jedoch, ob bis zur Errichtung eines neuen Senders der "Status quo ante", der vor dem Samaras-Alleingang in Sachen ERT herrschende Zustand, auch in Bezug auf die Zahl der ERT-Mitarbeiter sowie das Programmangebot gelten soll.
Für das Athener Finanzministerium, den Alleinaktionär von ERT, ist die Sache klar. "Das Gericht hat die Abschaffung von ERT beglaubigt", sagte Finanzminister Jannis Stournaras. Nach dieser Lesart, die seit Beginn des ERT-Thrillers die harte Position der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratia unter Samaras widerspiegelt, bedeutet dies vor allem eines: die sofortige Entlassung der insgesamt 2907 ERT-Mitarbeiter. Demnach hätte ein von der Athener Regierung eingesetzter Verwalter ab sofort unter anderem freie Hand darüber, mit welcher Anzahl von Mitarbeitern ein öffentlich-rechtliches Programm produziert werden kann.
Samaras will Vorgaben der Troika erfüllen
Das unverhohlene Ziel von Samaras und Co. ist es dabei, einer beträchtlichen Anzahl von ERT-Mitarbeitern kurzerhand den Laufpass zu geben. So will der Athener Regierungschef auf einen Schlag die mit Griechenlands Kreditgeber-Troika aus EU, EZB und Internationalem Währungsfonds vereinbarte Bedingung von 2000 Entlassungen von hellenischen Staatsbediensteten bis Ende Juni erfüllen.
Den Koalitionspartnern von Samaras ist das hingegen ein Dorn im Auge. Die Pasok-Sozialisten und die Demokratische Linke (Dimar) fordern, dass der Betrieb von ERT unverändert mit allen alten Mitarbeitern weiterläuft, bis der neue Sender tatsächlich steht. Diese Ansicht teilt auch die Athener Opposition. Pikant: Nur die rechtsextreme Goldene Morgenröte ist in Sachen ERT auf gleicher Wellenlänge mit Samaras. Um in der heiklen Causa ERT den gordischen Knoten endgültig zu zerschlagen, wollen sich die Athener Koalitionäre nun am Mittwochabend erneut beraten.
Unterdessen griff Oppositionschef Alexis Tsipras vom "Bündnis der Radikalen Linken" ("Syriza") die Athener Regierung in scharfer Form an. Tspiras bezeichnete Samaras als "Gefahr für die Demokratie". "Nur die Neonazis von der Goldenen Morgenröte sind Ihnen als Verbündeter geblieben. Alle anderen Stimmen sind im Protest gegen den schwarzen Bildschirm vereint", so Tsipras.
Das im Vorfeld des Athener Koalitionsgipfels kolportierte Szenario, wonach Samaras umgehend vorgezogene Neuwahlen ausrufen werde, scheint unterdessen vom Tisch. Informationen zufolge sei lediglich eine baldige Regierungsumbildung im Gespräch. Sie soll aber erst nach dem für Ende Juni anberaumten Parteikongress der Nea Dimokratia ins Auge gefasst werden.
Der private Athener Radiosender "Real FM" sieht ebenso kein schnelles Ende der Athener Koalition: "Der Zusammenhalt in der Koalition hat zwar Brüche erlitten. Aber ein Zerbrechen der Koalition will keiner der Regierungspartner. Und Syriza ist noch nicht für einen Machtwechsel reif."
Dennoch: Erneute Alleingänge von Samaras, die wie im jüngsten Fall ERT die Koalition vor eine Zerreißprobe stellen, wollen Pasok und Dimar nicht zulassen. ERT ist nicht das einzige Problem. Der Fall zeigt aber: Keine Regierung kann gegen die Parlamentsmehrheit regieren. Das ist eine Koalition, keine Einparteienregierung der Nea Dimokratia", legte Pasok-Chef Evangelos Venizelos den Finger in die Wunde.