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Unklarheit an Schulen bei Covid-19

Von Martina Madner und Petra Tempfer

Politik

Was Schulen wann im Coronavirus-Verdachtsfall tun, ist im Moment komplett unterschiedlich.


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Was passiert, wenn Eltern an die Schule melden, dass ihr Kind Covid-19-ähnliche Symptome hat? In manchen Fällen werden alle Schulkinder der Klasse in Quarantäne geschickt. In anderen bleiben zwar direkte Sitznachbarn zuhause, alle anderen kommen aber weiterhin zum Unterricht. In dritten Schulen bleibt der reguläre Unterricht "normal", aber: Direkte K1-Personen, die intensiver mit dem Kind mit Covid-19-Verdacht in Kontakt waren, dürfen nicht zum Turnen oder Nachmittagsangebot. Wieder andere Eltern berichten nur von einer Info bei einem Verdachtsfall. Solange dieser aber nicht positiv mit Test bestätigt ist, läuft die Schule normal weiter - man solle das eigene Kind nur auf Symptome hin beobachten.

Die Mittelschule Trofaiach in der Obersteiermark wurde von der Bezirkshauptmannschaft Leoben nach Paragraf 18 des Epidemiegesetzes vorsorglich am Montag geschlossen. Hier geht es aber nicht mehr nur um den Verdacht. Denn nach dem ersten, am Freitag bekannt gewordenen positiven Fall an der Schule sind mittlerweile bereits zehn Schülerinnen und Schüler sowie zwei Personen aus dem Lehrpersonal positiv auf das Coronavirus getestet. Auch die Mittelschule Feistritz an der Drau im Kärntner Bezirk Villach-Land ist wegen eines Falls in der Lehrerschaft für vorerst zehn Tage geschlossen.

Eine einheitliche Linie, was bei potenziellen und bestätigten Covid-19-Fällen - von Letzteren waren Anfang Oktober genau 1.218 Schüler und 178 Lehrer betroffen - zu passieren hat, gibt es offenbar nicht.

"Zu große Vielfalt im Agieren der Gesundheitsbehörden"

Warum aber reagieren die Schulen nicht einheitlich? Wegen der "zu großen Vielfalt im Agieren der Gesundheitsbehörden", kritisierte Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) schon nach dem vergangenen Ministerrat. "Wir brauchen unzweifelhaft ein homogenes Entscheidungsverhalten."

Die konkrete Vorgehensweise ist im Ampelsystem nämlich nicht geregelt: Ab der Farbe Gelb, die die Ampel für die Schulen derzeit zeigt, sind zwar eine Mund-Nasen-Schutz-Pflicht außerhalb der Klassenzimmer und Einschränkungen beim Turn- und Gesangsunterricht vorgegeben. Erst wenn Klassen wegen Covid-19-Fällen geschlossen werden, gibt es für jene, die ohne Symptome nach Hause geschickt werden, Distance Learning. Eine Regelung, wie genau im Verdachts- oder Symptomfall umzugehen ist, existiert aber nicht.

Zeigt ein Kind Symptome, entscheiden derzeit die Eltern, ob sie es zuhause lassen und ob sie die Gesundheitsnummer 1450 zur weiteren Abklärung wählen. Im Zweifelsfall soll das Kind jedoch zuhause gelassen werden, appelliert das Bildungsministerium.

Gibt es an einer Schule einen Verdachtsfall, liegt die Entscheidung bei der Schulleitung. Bis vor kurzem musste diese selbst bei einem Verdachtsfall die Gesundheitsbehörde informieren. Diese Vorgehensweise wurde allerdings dahingehend geändert, dass nur noch bestätigte Erkrankungsfälle an diese gemeldet werden müssen - und zwar über einen sogenannten Verbindungsoffizier der MA 70 (Wiener Berufsrettung), der den Prozess beschleunigen soll.

Geht es nach Ursula Madl, Direktorin des Billrothgymnasiums in Wien, soll die Entscheidung auch bei den Schuldirektoren bleiben. Denn einerseits habe sich die jetzige Vorgehensweise relativ gut eingespielt, und eine nochmalige Veränderung trage nur zu noch mehr Verwirrung bei, sagt Madl im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Andererseits "kenne ich die Umstände und meine Schüler am besten. Und ich kann die Entscheidung, die ich selbst getroffen habe, auch am besten vor den Eltern vertreten - denn am Ende landen alle Fragen, die diese dazu haben, doch wieder bei mir."

Die Erfahrung hätte zudem gezeigt, dass man auf eine konkrete Antwort der Behörden lange wartet. Mitunter zu lange. "Wenn ich um 11 Uhr erfahre, dass es ein infiziertes Kind in einer Klasse gibt, das zuhause geblieben ist, muss ich bis zum Unterrichtsschluss zum Beispiel um 13.40 Uhr entschieden haben, ob die ganze Klasse am nächsten Tag zuhause bleiben soll oder nicht. Und ich muss in dieser Zeit auch alle Eltern informieren." Für eine behördliche Entscheidung sei dieses Zeitfenster meist zu kurz.

Superspreader oder kein Risiko?

Damit liegt freilich auch die Verantwortung beim Schuldirektor. Voraussetzung für diese Vorgehensweise ist daher laut Madl, dass im Falle einer falschen Entscheidung "der Dienstgeber hinter mir steht".

Genauso wie das Vorgehen der Schulen bei Covid-19-Verdachtsfällen ist jedoch auch die Ansicht der Schuldirektoren darüber unterschiedlich. Zahlreiche Direktoren sprechen sich für ein einheitliches Vorgehen aus.

Ein weiteres, essenzielles Problem ist laut Madl aber auch die Dauer zwischen Covid-19-Test und Testergebnis in Wien. "Ich hatte bisher zwei positive Covid-19-Fälle in der Klasse. Das Ergebnis kam jedes Mal so spät, dass ich die Klasse nur noch für einen Tag in Quarantäne geschickt habe", sagt Madl. Die vorgegebene Quarantäne-Dauer seien zehn Tage inklusive jenem letzten Tag, an dem der Schüler noch in der Schule war - das positive Testergebnis lag nach neun Tagen vor.

Die Konzentration der Debatte auf Schulen liegt wohl eher an der großen Zahl der potenziell Betroffenen, den mehr als 1,1 Millionen Schülern und Schülerinnen und rund 130.000 Lehrenden. Weniger am Ansteckungsrisiko an Schulen: Denn laut aktueller Analyse der Österreichischen Agentur für Ernährungssicherheit (Ages) sind nur 2,6 Prozent der Covid-19-Infektionscluster dem Bildungsbereich zuzuordnen. Mit 65,4 Prozent der Fälle, die auf ein Cluster zurückzuführen sind, weist die Ages den gemeinsamen Haushalt "als führenden Ort der Übertragung" aus. Auch Freizeitaktivitäten wie private Veranstaltungen, der Besuch von Lokalen oder Sport spielen eine größere Rolle bei der Verbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2 als Schulen.

Meist milde oder gar keine Symptome

Seit Anfang August sind besonders viele Infektionen bei den 15- bis 34-jährigen diagnostiziert worden. Die Betroffenen zeigen aber meist milde oder gar keine Symptome. Auch kleinere Kinder können sich anstecken und das Virus weitergeben, sagt die Virologin Judith Aberle von der Medizinischen Universität Wien. Die Studien zur Viruslast bei Erkrankten zeigten gleich hohe Virus-RNA-Konzentrationen im Rachen wie bei Erwachsenen.

Ob Kinder genauso ansteckend sind wie Erwachsene, sei noch nicht erwiesen, sagt Aberle. Für das Ansteckungsrisiko spiele die Art und die Zahl der Kontakte eine Rolle und ob Maßnahmen eingehalten werden. Das zeige ein aktueller Bericht des "Center for Disease Control" über 138 Kinder in einem Camp in den USA. Ohne Einhalten infektionspräventiver Maßnahmen war die Hälfte der Sechs- bis Zehnjährigen danach mit dem Coronavirus infiziert. Etwa ein Viertel von diesen zeigte gar keine und der Rest nur leichte Symptome. Derzeit laufende Studien sollen ein genaueres Bild von der Ausbreitung des Virus bei Kindern bringen.

Dass Schulen bei Covid-19-Verdachtsfällen eine Entscheidung über die Maßnahmen nach dem Alter der Schüler treffen und Ältere rascher als Kinder unter zehn Jahren in Quarantäne schicken, scheint jedenfalls nicht wissenschaftlich untermauert zu sein.

Opposition: "Der Sommer wurde verschlafen"

Vonseiten der Politik sind die Positionen klar. Neos-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre sagt, ihre Partei fordere seit Monaten "schnellere Tests, klare Ansprechpartner und Regeln ein". Ähnlich auch SPÖ-Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid: Sie plädiert für die Ausstattung aller Kinder mit Gurgeltests für zuhause, mobile Teams und eigene Testlabors, die sich nur um Schulen kümmern. Ein Vorschlag, den auch FPÖ-Bildungssprecher Hermann Brückl in seiner Aussendung ähnlich formuliert. Einhelliges Oppositionscredo außerdem: "Der Sommer wurde verschlafen."

Und die Regierung? Zusätzlich zu den Gesprächen mit den anderen Bundesländern zu mobilen Einsatzteams mit Gurgeltests an Schulen wie in Wien mahnt Minister Faßmann im ORF-Interview "einheitliche Verfahrensregeln ein, wer wann die Gesundheitsbehörde verständigt". Einheitlich solle künftig auch geregelt werden, wie man zu raschen Testergebnissen kommt und wie die K1-Kontaktpersonen behandelt werden.

Noch diese Woche gebe es ein Treffen zum Thema im Gesundheitsministerium, man sei sich mit Minister Rudolf Anschober einig. Dann werde die Information an die Behörden weitergegeben, im Anschluss an die Schulen. Faßmann verspricht Klarheit innerhalb der nächsten zwei Wochen: "Das ist ja nicht so ein Mysterium." Er sagt aber auch gleich: "Ich hoffe, sie werden mich nicht verhaften, wenn es einen Tag länger dauert."