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Unkultur der gut gepflegten Erbstücke

Von Judith Belfkih

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Österreich ist Kulturnation. Unumstritten, mindestens weltweit Spitzenreiter. Das heften wir uns gerne an die Fahnen. Und schwenken sie bei jeder Gelegenheit international. Viel mehr haben wir auch nicht zum Heften.

Aber sind wir es wirklich? Sind wir kulturvolle oder kultivierter als andere? Was tragen wir dazu bei, um in der Ruhmeshymne lauthals mitsingen zu dürfen? Oder rühmen wir uns vielmehr herausragender Einzelleistungen von Menschen, die eher zufällig den gleichen Pass haben wie wir? Aktuell haben wir etwa das mehrfach Oscar-prämierte Filmwunder, Evergreens wie die Philharmoniker, Konzerthäuser und die Festivals. Im Kanon der bildenden Kunst und der klassischen Musik tummeln sich heimische Größen. Allerdings finden sich nur wenige Zeitgenossen unter ihnen. Alles in allem sind es meist Exportschlager und Tourismusmagneten. Viele von ihnen sind gut gepflegte Erbstücke aus früheren Jahrhunderten.

Doch wie sieht es mit der Alltagskultur der Österreicherinnen und Österreicher aus? Wie viel Kultur findet sich da? Da gibt es etwa den Mann, der auf die U-Bahn-Gleise stürzte. Und niemand half. Oder die blinde ältere Frau, die im Zug vergeblich vor der falschen Tür wartete, da der Bahnsteig auf der andren Seite war. Niemand hat es ihr gesagt. Oder die junge Frau, die die Fahrerin der Straßenbahn bitten musste, ihr mit dem Kinderwagen zu helfen. Die anderen einsteigenden Fahrgäste waren vorsorglich zu den anderen Eingängen ausgewichen. Von Zivilcourage gar nicht erst zu sprechen.

An Unkultur sind wir damit kaum zu überbieten.