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Fast jeden Tag protestieren Menschen gegen die Regierung in Zagreb. | Doch die Demonstrationen einen sie nur auf den ersten Blick.
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Andrija Hebrang will nichts mehr sagen. Zumindest öffentlich nicht. Doch ist Hebrang kein einfacher Bürger, der wegen irgendeiner Geschichte von den Medien belästigt wird und nun genug davon hat. Er ist eine Person des öffentlichen Interesses: Universitätsprofessor und Politiker. Der Vizepräsident der konservativen kroatischen Regierungspartei HDZ (Kroatische Demokratische Union) will sich aber nicht mehr in der Öffentlichkeit äußern, solange die Proteste andauern, die Demonstranten bis vor seine Haustür gebracht haben.
Seine Familie sei in Angst, seine Enkelkinder weinten, sagte Hebrang kroatischen Medien. Das sei der Grund für seinen Entschluss zum vorläufigen Schweigen - und nicht kolportierte Vorgaben von Premierministerin Jadranka Kosor, die einigen Parteimitgliedern Redeverbot erteilt haben soll, um die Reputation der Fraktion nicht zu beschädigen.
Um die steht es aber vor der Parlamentswahl Ende des Jahres tatsächlich nicht gut. Laut Umfragen sind drei von vier Kroaten mit der Arbeit der Regierungskoalition unzufrieden; Kosor selbst unterstützt nur noch jeder Vierte. Der HDZ bereiten nicht nur Korruptionsvorwürfe Sorgen, sondern auch die wirtschaftliche Lage des Landes.
In Kroatien gärt es. Seit zwei Wochen vergeht kaum ein Tag, an dem nicht hunderte bis tausende Menschen auf die Straße gehen, ob in der Hauptstadt Zagreb oder in kleineren Städten wie Varazdin, Rijeka oder Split. Doch auch wenn der ähnlich geäußerte Unmut über die Regierung die Demonstranten zu einen scheint - deren Anliegen und Wünsche sind unterschiedliche.
So fordern Veteranen-Verbände, die argwöhnisch serbische Prozesse wegen Kriegsverbrechen verfolgen, Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung. Andere, die sich nicht zuletzt durch die Internet-Plattform Facebook organisieren, werfen der Regierung Missmanagement in der Finanzkrise vor. Arbeiterinnen protestieren gegen Werksschließungen; Bauern verlangen höhere Mindestpreise für ihre Produkte.
Die Opposition drängt darauf, dass sich Premierministerin Kosor zur Lage äußert, und Staatspräsident Ivo Josipovic lädt Vertreter aller Parlamentsparteien zu Beratungen in sein Büro. Schon vor Wochen hat Josipovic die Regierung zu Reformen gemahnt.
Denn die Arbeitslosigkeit in Kroatien ist so hoch wie seit acht Jahren nicht. Fast jeder Fünfte ist offiziell ohne Job. Im Vorjahr schrumpfte die Wirtschaft um 1,4 Prozent; die öffentliche Verschuldung liegt bei fast 40 Prozent.
Zudem halten Kritiker der HDZ vor, das Land auch durch innerparteiliche Querelen zu lähmen. Erst vor kurzem hat Kosor die Regierung umgebildet, doch der Machtkampf zwischen ihren Gefolgsleuten und jenen, die Ivo Sanader nahestehen, ist noch nicht zu Ende - auch wenn Kosors Vorgänger Sanader in Auslieferungshaft in Österreich sitzt. Dass die Korruptionsvorwürfe lediglich den Ex-Premier plus ein paar andere Politiker treffen und der gesamte Rest der Regierungspartei nichts mit möglichen illegalen Machenschaften zu tun hat, glaubt in Kroatien sowieso kaum jemand.
Dennoch vermeidet es die Regierung, ob aller Kritik und Proteste Nervosität zu zeigen. Ministerpräsidentin Kosor kalmiert: Das Land brauche Frieden und Stabilität. Andernfalls sei der Abschluss der Verhandlungen um einen EU-Beitritt gefährdet. Der aber scheint im Moment viele Kroaten weit weniger zu interessieren als anderes.