Ungarischer Politologe Toth sieht Machtwechsel in Budapest näher rücken.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Unter der Regierung des nationalistischen Fidesz von Ministerpräsident Viktor Orban steht Ungarn zunehmend im Schussfeuer internationaler Kritik. Budapest eckte vor allem mit der Neuregelung der Medienlandschaft und der Aufnahme eines "nationalen Credo" in die Präambel der novellierten Verfassung an. Für viele Beobachter scheint es nur eine Frage der Zeit, bis Ungarn zu einem autoritär regierten Staat wird.
"Wiener Zeitung":Inwiefern ist die heftige ausländische Kritik gerechtfertigt?Csaba Toth: Ungarn ist nach wie vor eine funktionsfähige parlamentarische Demokratie. Deswegen halte ich nichts von allgemeinen Verurteilungen. In einzelnen Bereichen wie bei der Medienfreiheit gibt es allerdings klare Tendenzen, wo die Kritik aus den USA, der EU oder von Nicht-Regierungsorganisationen angebracht ist.
Was ist denn an den neuen Regelungen für Medien so problematisch?
Fidesz hat mit der Medienaufsicht eine Behörde installiert, die über gesetzgeberische Befugnisse verfügt, die nicht der Kontrolle des Parlaments unterliegen. Davon wurde zwar noch kein Gebrauch gemacht, es besteht aber die Möglichkeit dazu. Bei Redakteuren sehe ich eine wachsende Vorsicht in der Berichterstattung; viele sind schon zur Selbstzensur übergegangen.
Orbans Fidesz scheint mit einer parlamentarischen Zwei-Drittel-Mehrheit übermächtig. Inwiefern können Sie sich da als Liberaler überhaupt öffentlich artikulieren?
Da erlebe ich keine Einschränkungen. Es ist vielmehr eine Frage, ob und wie man die Menschen überhaupt noch mit politischen Inhalten anspricht. Es gibt bei uns beispielsweise unzählige Blogs und Internetforen. Doch nur bei den wenigsten geht es um aktuelle politische Fragen. Auch die Regierung tut sich deshalb durchaus schwer, die Wähler zu erreichen.
Welche positiven Entwicklungen sehen Sie?
Es gibt nicht mehr diese Gewalt, wie wir sie im Herbst 2006 nach Bekanntwerden der Lügenrede des früheren sozialistischen Premiers Ferenc Gyurcsany erlebt haben. Man hört auch nichts mehr von gewaltsamen Attacken gegen Roma, obwohl ich nicht zu beurteilen vermag, inwieweit das allein ein Erfolg der Regierung ist. Sehr bedenklich ist, dass Fidesz die radikale und extreme Rechte offenbar nicht in den Griff bekommt. Gerade im Nordosten, der mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen ringt, hat Jobbik in jüngster Zeit bei Umfragen sprunghaft zugelegt.
Wie ernst sind die jüngsten Großdemonstrationen zu nehmen?
Sie sind Ausdruck eines zunehmenden Protests gegen die Regierung von Viktor Orban. Umfragen zufolge hat Fidesz seit den Wahlen ein Drittel bis die Hälfte seiner früheren Wähler verloren. Diese Menschen rechnen sich inzwischen überwiegend zu den politisch Unentschlossenen. Alle Parteien der parlamentarischen Opposition zusammengerechnet, also einschließlich Jobbik, liegen in Umfragen fünf bis zehn Prozent vor Fidesz. Damit könnte Orban bei den nächsten Parlamentswahlen abgewählt werden. Allerdings ist die Opposition fragmentiert. Zwar melden sich fast täglich neue Gruppierungen zu Wort, die gegen irgendetwas aufbegehren. Viele von ihnen verfolgen jedoch nur ganz bestimmte und nicht in jedem Falle politische Interessen.
Ferenc Gyurcsany hat vor kurzem die Partei Demokratische Koalition gegründet. Kann er damit einen Großteil der oppositionellen Kräfte an sich binden?
Ich glaube nicht. Gyurcsany ist schon seit Jahren der unbeliebteste Politiker Ungarns. Aus meiner Sicht blieb ihm einfach nichts anderes mehr, als seinen eigenen Weg zu gehen. Bei den Sozialisten war für ihn schlichtweg kein Platz mehr.
Zur Person: Csaba Toth
Der Politologe und Soziologe (32) ist strategischer Direktor des liberalen Republikon-Instituts in Budapest. Von 2002 bis 2004 war er politischer Analytiker für den früheren sozialistischen Premier Peter Medgyessy; im Wahlkampf 2006 war er Chefstratege der Allianz freier Demokraten - Ungarische Liberale Partei.