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Unmut im EU-Warteraum

Von Martyna Czarnowska aus Posen

Politik

Die zögerliche Erweiterungspolitik der Union sorgte für Kritik bei einer Westbalkan-Konferenz in Polen.


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Posen. Von Poznan im Nordwesten Polens in die nordmazedonische Hauptstadt Skopje sind es knapp 1600 Kilometer. Und auch sonst scheint die Entfernung zwischen dem osteuropäischen Land und dem Westbalkan groß. Warschau hat sich zwar immer wieder für die Aufnahme der südosteuropäischen Staaten in die EU ausgesprochen, doch ging die Erweiterungsfreundlichkeit nicht unbedingt mit großem Engagement einher. Das Interesse galt vielmehr der benachbarten Ukraine, für deren Anbindung an die EU sich die polnischen Regierungen einsetzten.

Doch nach Berlin sind es von Posen gerade einmal rund 280 Kilometer. Dort wurde vor fünf Jahren der so genannte Berlin-Prozess gestartet, in dem die diplomatische Unterstützung einiger Länder für Südosteuropa gebündelt wurde. Deutschland soll es auch gewesen sein, das Polen nach einiger Zeit in den Kreis der EU-Mitglieder einbinden wollte, zu denen ebenfalls Österreich und Frankreich gehören. Nach hochrangig besetzten Treffen in Berlin, Wien, Paris, Triest und London findet daher in diesem Jahr der Westbalkan-Gipfel in Poznan statt. Am Freitag wollen hier unter anderem der polnische Premier Mateusz Morawiecki, die Bundeskanzlerinnen Angela Merkel sowie Brigitte Bierlein und Bulgariens Ministerpräsident Bojko Borissow mit ihren Amtskollegen aus Südosteuropa zusammenkommen.

Leuchtendes Beispiel Skopje

Bulgarien hatte im Vorjahr einen Westbalkan-Gipfel mit allen EU-Staaten veranstaltet. Doch war das Treffen von Zwistigkeiten zwischen den Europäern mit den USA überschattet. Der von etlichen EU-Beitrittskandidaten erhoffte neue Schwung für die Erweiterungspolitik ist seitdem ausgeblieben. Das hat freilich auch mit Schwierigkeiten der Bewerber selbst zu tun. Die sowieso angespannten Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo sind durch einen Streit um von Prishtina verhängte Strafzölle auf serbische Waren zusätzlich belastet. Albanien befindet sich in einer innenpolitischen Krise. Das zersplitterte Bosnien-Herzegowina kann nötige - unter anderem administrative - Reformen nicht durchsetzen.

Lediglich Nordmazedonien steht als leuchtendes Beispiel für politischen Willen zur Überwindung langjähriger Konflikte da. Skopje hat mit Athen den Namensstreit gelöst, in dem Griechenland die Annäherung des Nachbarn an Nato und EU blockiert hatte.

Unerfüllte Versprechen

An Nordmazedonien zeigt sich aber auch gleichzeitig, wie zögerlich die Union bei der Erfüllung ihrer Versprechen ist. "Wenn ihr liefert, liefern wir ebenfalls", hat es lange Zeit geheißen. Das bedeutete: "Wenn ihr Reformen durchführt, den Zwist mit Griechenland beendet, dann gehen wir weiter." Immerhin hat das Land 2005 den Status eines Beitrittskandidaten erhalten - Jahre, bevor Montenegro und Serbien das erreichten, mit denen die EU mittlerweile Beitrittsverhandlungen führt.

Doch Skopje hat noch immer kein Datum für den Beginn der Gespräche, deren Start die EU-Kommission schon mehrmals empfohlen hat. Ihre Entscheidung dazu haben die EU-Staaten erst Ende Juni auf Herbst verschoben.

Vor allem die Regierungen in Den Haag und Paris hatten Einwände. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron wiederholte diese noch am Rande des EU-Gipfels Anfang der Woche in Brüssel, wo die Mitgliedstaaten mühsam um die Besetzung von EU-Spitzenpositionen rangen. Wenn 28 Staaten sich nicht einigen könnten, sei Skepsis bei Überlegungen zur Aufnahme weiterer Länder angebracht, meinte Macron - und pochte darauf, dass eine Vertiefung der Union vor deren Erweiterung Vorrang haben müsse.

Merkel gab sich da aufgeschlossener. Die Tür der EU stehe für die Länder des Westbalkan offen. Diese "haben eine Beitrittsperspektive, wenn sie alle Bedingungen erfüllen", betonte die Kanzlerin.

Dass die Bemühungen der Länder trotz dieser Zusagen nicht honoriert werden, sorgte beim Treffen in Poznan für Kritik. So zeigten sich polnische Regierungsvertreter von der Verschiebung des Gesprächsstarts mit Nordmazedonien "enttäuscht". Die Verzögerung zeuge von "einer egoistischen Haltung, die das weiterreichende Interesse der EU nicht berücksichtigt", erklärte Außenminister Jacek Czaputowicz.

"Destruktive Position"

Experten warnen davor, dass die EU mit ihrer Haltung ihre eigene Position in Südosteuropa schwäche. "Ihre Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit sind so eingeschränkt", sagt Florian Bieber, Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien an der Karl-Franzens-Universität Graz, der "Wiener Zeitung". "Denn das Attraktivste, was die EU den Ländern anbieten kann, ist die Erweiterungsperspektive." Gerät diese ins Wanken, ist der Hebel blockiert, der Beitrittswillige zu Reformen bewegen soll.

Macrons Argumentation, dass Vertiefung und Erweiterung nicht parallel zueinander möglich seien, hält Bieber für "scheinheilig". Denn ein Blick in die Vergangenheit zeige etwas anderes. Statt das aber einzusehen, nehme Frankreich eine "destruktive Position" ein, die außerdem nichts mit den realen Problemen in Südosteuropa zu tun habe. Innere - französische - Befindlichkeiten rücken so in den Vordergrund.