Zum Hauptinhalt springen

Unmut im Iran wächst

Von Arian Faal

Politik

Mehr als eine Woche nach Beginn der Proteste wird das Regime nervös, USA verhängen Sanktionen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Zehntausende Anhänger der iranischen Führung gehen überall im Land auf die Straße. "Wir stehen geeint hinter dem Führer", rufen die Menschen mit Blick auf Irans geistliches Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei. Zum ersten Mal wurde laut offiziellen Angeben auch ein EU-Bürger im Iran festgenommen. Die Entwicklungen sind jedenfalls dramatisch.

1.Was wollen die Demonstranten im Iran? Wogegen richtet sich ihre Wut?

Begonnen hat alles mit einem Aufruhr gegen die erhöhten Lebensmittelpreise in der Stadt Mashad, wo die Gegner von Präsident Hassan Rohani, allen voran sein Ex-Widersacher bei der Präsidentschaftswahl 2017, Ebrahim Reisi, sitzen. Eier, Obst, Gemüse und Fleisch, sowie Mieten und Energiepreise sind in den vergangenen Monaten eklatant angestiegen. Der Iran hat sich wirtschaftlich trotz des Atomdeals von 2015 nicht erholt. Viele Banken weigern sich nach wie vor, mit der Islamischen Republik Geschäfte zu machen. Die Arbeitslosigkeit ist konstant hoch, in vielen Bereichen der Wirtschaft haben die Revolutionsgarden eine Monopolstellung. Neben der Wirtschaftslage steht auch die Führung als Ganzes im Fokus der Kritik. Gemeint sind sowohl die moderaten Kräfte rund um Rohani als auch der ultrakonservative Klerus und die Hardliner rund um den Obersten Geistlichen Führer, Ayatollah Ali Khamenei. Letztlich will die Bevölkerung auch eine rasche Besserung der sozialen Belange.

2.Gibt es mehr Parallelen oder mehr Unterschiede
zu den Protesten im Jahr 2009?

Im Jahre 2009 ging es bei der sogenannten "Grünen Bewegung" um eine manipulierte Präsidentschaftswahl, bei der Mahmoud Ahmadinejad zu Unrecht wieder Präsident wurde, da sein größter Widersacher, Mirhossein Moussavi, dem Vernehmen nach mehr Stimmen erhalten hatte. Die Menschen gingen auf die Straße, um gegen die politische Situation zu protestieren. Sie forderten ein Ende der Herrschaft der Hardliner und eine Abkehr von einer Politik, die den Iran jahrelang ins Isolationseck getrieben hat. Auch muss man sagen, dass die Aufstände von damals wesentlich geordneter und größer waren. Die Demonstranten waren im Schnitt urbaner, gebildeter und begüterter als die Kundgebungsteilnehmer von heute, und die Unruhen hatten ein klares Epizentrum, nämlich die Hauptstadt Teheran. Dies machte es den Behörden leichter, gegen die Unzufriedenen vorzugehen und die angeblichen Rädelsführer festzusetzen. Die jetzigen Protestaktionen finden in viel kleinerem und heterogenerem Rahmen statt, und da sie sich in unzähligen kleinen Städten im ganzen Land zutragen, sind sie nur schwer einzudämmen. Die paramilitärischen Bassijmilizen verhafteten 2009 Tausende, töteten Dutzende und folterten und vergewaltigten viele. Zahlreiche prominente Führer der Grünen Bewegung, darunter die beiden damaligen Oppositionsführer Mehdi Karroubi und Mirhossein Moussavi, stehen bis heute unter Hausarrest. Es mag sein, dass diese Erfahrung die jetzige Bewegung davon abgehalten hat, sich ein Gesicht zu geben.

3.Wer demonstriert? Wie
ist die Rolle der Sozialen Medien?

Überwiegend junge Männer gehen auf die Straße. Es handelt sich aber um kein ganzheitliches Gefüge. Die Regimegegner sind weder organisiert, noch kann man sie einer bestimmten politischen Richtung zuordnen. Liberale und Säkulare gehen ebenso auf die Straße wie Konservative, Frauenrechtlerinnen oder Monarchisten. Gesicherte Informationen aus dem schiitischen Golfstaat sind nur schwer zu bekommen, da die iranischen Medien kaum oder nur eingeschränkt von den Protesten berichten. Fest steht durch die tausenden Videos aus Sozialen Medien nur, dass die Provinzstädte bei dieser jüngsten Bewegung eine Schlüsselrolle spielen. Man sieht auf diesen Aufnahmen eine zornige Arbeiterschaft, die sich über hohe Preise beschwert, aber mit Rufen wie "Tod dem Diktator" (gemeint ist Khamenei, Anm.) auch immer wieder den Sturz der Regierung fordert.

4.Wie reagieren die einzelnen Teile des heterogenen iranischen Führungsapparates?

Es scheint, als ob die Regierung unter Hassan Rohani von den Protesten überrascht worden ist und nicht so recht weiß, wie sie damit umgehen soll. Rohani hat zwar öffentlich klargestellt, dass er Protestaktionen erlaubt. Das ist richtig, die Behörden haben in den letzten Jahren immer wieder kleinere Demos und Streiks toleriert. Doch andererseits sitzt der moderate "Scheich der Hoffnung" zwischen den Stühlen, da einige Demonstranten dich direkt gegen den Klerus, also auch gegen ihn selbst, wenden. Rohanis Widersacher, die Hardliner, die das Ganze in Mashad angezettelt haben, gehen wieder einmal auf Konfrontation. Außerdem sind seit dem vergangenen Wochenende hunderte von Menschen verhaftet worden. Allein in Teheran wurden mehr als 450 Menschen von der Polizei oder von den Revolutionswächtern festgenommen. Mindestens 22 Personen sind bisher ums Leben gekommen. Die Bassijmilizen sind omnipräsent. Sie fahren wie 2009 auf ihren Motorrädern, um jene Atmosphäre unübersichtlicher Gewalt zu kreieren, in der die Staatsmacht risikofrei zuschlagen kann.

Soziale Kommunikationskanäle wie Telegram und Instagram wurden vorübergehend blockiert. Rohani wirkt ausgleichender als die Hardliner, aber auch er ließ wissen, das Regime werde mit aller Härte gegen "Gesetzesbrecher" vorgehen. Irans Oberster Führer Ali Khamenei hat "Feinde im Ausland" für die Unruhen verantwortlich gemacht. Die Feinde Irans hätten sich vereint und machten Gebrauch von ihren Mitteln, zu denen Geld, Waffen, die Politik und die Geheimdienste gehörten, so Khamenei. Außerdem hat sich der Iran wegen der Unterstützung der USA für die regierungskritischen Demonstrationen bei der UNO beschwert. In einem Schreiben an den UN-Sicherheitsrat warf Teheran der US-Regierung vor, sich in die internen Angelegenheiten des Landes einzumischen. Washington habe durch seine "grotesken" Versuche der Einflussnahme gegen internationales Recht verstoßen,

5.Wie reagiert das Ausland und wie wirkt sich der Konflikt auf den Ölpreis aus?

Die Iran-Freunde Türkei, Russland und China warnen vor Einmischung in inner-iranischen Angelegenheiten. Auch in Europa hält man sich mit Äußerungen eher zurück. Ein EU-Sprecher sagte, nach den öffentlichen Erklärungen von Präsident Rohani erwarte man, dass das Recht auf friedliche Demonstration und die Meinungsfreiheit garantiert würden. Schon vorher hatte der deutsche Außenminister Gabriel die Führung in Teheran aufgefordert, die Versammlungsfreiheit zu respektieren. Der französische Präsident Macron rief Rohani im Hinblick auf die Demonstrationen in einem Telefongespräch zur Zurückhaltung auf. Zuvor hatte sich der Élysée-Palast auffällig lange mit Kritik zurückgehalten. Etliche Zeitungen spekulierten, es gehe Macron primär um die Rettung der Wirtschaftsabkommen von 15 Milliarden Euro, die 2016 bei einem Besuch von Rohani in Paris vereinbart worden waren.

Anders reagierte US-Präsident Donald Trump. Über Twitter stärkte er den Demonstranten den Rücken: "Die Menschen haben wenig zu essen, eine große Inflation und keine Menschenrechte. Die USA schauen zu!" Jahrelang sei das "große iranische Volk" unterdrückt worden. Nun sei es Zeit für einen Wechsel. In dieselbe Kerbe schlug Israels Premier Benjamin Netanjahu und wünschte den Demonstranten "viel Glück" gegen das "Unterdrückerregime". Die Perser scheren sich aber nicht um Trumps Worte, da sie sein Einreiseverbot noch gut im Kopf haben. Der Ölpreis stieg durch die Iran-Krise an. Die Preise sind derzeit so teuer wie seit 2015 nicht mehr. Die Sorte Brent notierte am Donnerstag bei 67,87 Dollar je Barrel (159 Liter).

Die USA haben indessen im Zusammenhang mit Irans Raketenprogramm fünf Unternehmen mit Sitz in der Islamischen Republik auf eine Sanktionsliste gesetzt. Es handle sich um vier Firmen und ein Forschungszentrum der Shahid Bakeri Industrial Group. Die Sanktionen sehen vor, dass Vermögenswerte der Betroffenen in den USA eingefroren werden. Außerdem dürfen Amerikaner mit ihnen keine Geschäfte machen.