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Unnötige Irrwege durch Fehler im System

Von Brigitte Pechar

Politik
Selbst das Essen wird mit einem Arm zu einem mühsamen Akt, der nur mit Hilfe möglich wird. Foto: corbis

Wie das System mit alten und kranken Menschen umgeht. | Ein Fallbeispiel aus Niederösterreich. | Wien. Dorothea F. (83) lebt in einer 1000-Seelen-Gemeinde in Niederösterreich. An sich ein idyllisches Dorf, wo die Menschen einander kennen und die Nachbarn einander noch helfen. Aber auch diese Eigenschaften kommen in der schnelllebigen Zeit, in der sich die bäuerliche in eine Angestellten-Struktur gewandelt hat, immer mehr abhanden. Denn im Ort selbst gibt es nur wenige Arbeitsplätze, also pendeln die Jungen. So bleibt immer weniger Zeit für die Dorfgemeinschaft.


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Eine solche ist aber für Dorothea F. besonders wichtig, denn sie hat keine Kinder, ihr Mann ist seit 20 Jahren tot und ihre zwei Nichten leben in Wien. Den Einkauf erledigt eine nette Verkäuferin, schwere Dinge wie das Mineralwasser liefert der freundliche Kaufhausbesitzer ins Haus. Die auch schon in die Jahre gekommene Cousine bringt ab und zu Selbstgebackenes vorbei, und eine in der selben Gasse lebende Witwe kommt zum Tratsch - hauptsächlich über Blumen.

Die Nichten befanden, dass man sich auf dieses Netzwerk nicht verlassen dürfe und verordneten der Tante ein Piepserl. Damit kann sie, falls sie einmal fällt - Dorothea F. leidet unter anderem an Altersepilepsie -, Hilfe holen.

Von Unbedachtheiten im Krankenhaus...

Gut gedacht, aber im Bedarsfall kommt der Notruf dann doch nicht zur Anwendung. Die Tante stürzt in der Toreinfahrt und kommt nicht mehr auf. Anstatt das Piepserl zu betätigen, "ruft" sie - Atemnot wegen eines Herzleidens machen ihr allzu laute Töne nicht möglich - um Hilfe. Ein Zufall will es, dass die Nachbarin vor der abendlichen Fernsehzeit nocheinmal auf die Gasse schaut und etwas hört. Sie kommt und aktiviert die Cousine, die ihrerseits wiederum die Rettung verständigt.

Im Krankenhaus Mistelbach wird der Oberarmbruch versorgt und der linke Arm ruhig gestellt. Um 22.30 Uhr wird Dorothea F. mit dem Rot-Kreuz-Wagen wieder nach Hause geschickt. Zu einer Zeit also, wo sie, die mit einer Hand völlig hilflos ist, sicherlich keine Hilfe für sich mehr organisieren kann. Mit auf den Weg bekommt sie ein Rezept für ein schmerzstillendes Medikament.

Zwei Unbedachtheiten passieren hier schon im Krankenhaus: Erstens müsste eine völlig hilflose alte Frau zumindest einmal über Nacht behalten werden, da sie sich weder alleine ausnoch anziehen oder Brot abschneiden kann, ja kaum alleine ins Bett kommt. Die nächste Unbedachtheit: Anstatt Frau F. eine Ration von schmerzstillenden Tabletten zumindest für den nächsten Tag mitzugeben, erhält sie ein Rezept.

Den ersten Abend meistert Dorothea F. mit Hilfe der Rot-Kreuz-Helferinnen. Sie stecken Dorothea F. ins Nachthemd und ins Bett. Am Tag darauf kommt die Cousine und bringt Essen. Aber das schmeckt nicht so recht, leidet Frau F. doch unter großen Schmerzen. Der Gemeindearzt mit angeschlossener Hausapotheke ist auf Urlaub. Also übernimmt die Cousine eine Fahrt in die Apotheke des Nachbarorts. Dort wird sie darauf hingewiesen, dass Rezepte des Krankenhauses vom Hausarzt bestätigt werden müssen. Was also tun? Zu einer Vertretung - wieder zehn Kilometer entfernt - zu fahren, nur um 10,50 Euro zu sparen? Nein. Die Cousine zahlt lieber, obwohl Frau F. rezeptgebührenbefreit ist.

Hätte das Krankenhaus die Möglichkeit, gebrechlichen Menschen Medikamente mit nach Hause zu geben, wären der Patientin Schmerzen und Geld, den Angehörigen Wege erspart geblieben.

Unterdessen schalten sich die Nichten ein. Da die Tante unmöglich alleine bleiben kann, muss sie zu deren Mutter, die selbst nach einem Schlaganfall von Pflegerinnen betreut wird. So lange jedenfalls, bis sie wieder beide Arme gebrauchen kann. Das kann aber dauern. Vorerst muss Frau F. nämlich einen Monat lang zur wöchentlichen Kontrolle ins Krankenhaus. Damit die Tante den auch im Ort langen Arztweg nicht allwöchentlich auf sich nehmen muss, um einen Rettungsfahrtenschein zu besorgen, nimmt eine Nichte Urlaub, um für sie diesen Weg zu erledigen und den Arzt gleich um eine Dauerfahrtenkarte, genannt Dauerschein, zu bitten.

. . . bis zu Fehlern im System

Hier wird die nächste Unbedachtheit des Systems sichtbar. Denn ein derartiger Dauerschein muss von der Krankenkasse bestätigt werden. Dies kann nur via Fax erledigt werden. Da das Postamt vor Jahren geschlossen wurde, gibt es keinen öffentlichen Fax-Zugang im Ort.

Ein Anruf bei der SVB (Sozialversicherungsanstalt der Bauern) ist notwenig, um zu einer Information zu kommen, die auch der Arzt seinen Patienten angedeihen lassen könnte: Die Rettungsfahrer übernehmen den Schein und leiten diesen an die SVB weiter.

Die Frage ist, warum das der Arzt nicht über E-Mail erledigen kann, noch dazu wo ohnedies bereits praxisintern nur noch über den PC kommuniziert wird. Die SVB teilt mit: Das ist derzeit noch nicht möglich, aber man arbeite an einer elektronischen Lösung.

Weiters verweist die SVB darauf, dass die meisten Hausärzte die Bestätigung der Versicherung mittels Fax einholen. Wie man sieht, tun es eben nicht alle, was für alte Menschen zu nahezu unlösbaren Problemen führt. "Schwarze Schafe gibt es überall", lautet die Antwort der SVB. Die Ärztekammer ortet zwar ein Problem, verweist aber auf örtliche Pflegevereine.

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