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Unnötiges Hickhack um Corona-Bonds

Von Heinz Handler

Gastkommentare
Heinz Handler ist Ökonom und Dozent an der Technischen Universität Wien und stellvertretender Vorsitzender der Querdenkerplattform Wien-Europa (www.querdenkereuropa.at).
© privat

Finanzielle Solidarität ist nichts Neues in der EU.


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Die Solidarität in der Europäischen Union ist (nach Eurokrise, Flüchtlingsdrama und Brexit) schon wieder einer schweren Prüfung ausgesetzt. Die EU hat zwar keine Kompetenzen im Gesundheitsbereich, dennoch muss "Brüssel" auch in der Corona-Krise als Sündenbock herhalten, wenn zu Hause nicht alles nach Plan läuft. Statt sich auf EU-Ebene gemeinsam auf hilfreiche Aktivitäten zu verständigen, haben einige die Mitgliedstaaten auf eigene Faust gehandelt. Einige haben sogar gegen alle Regeln des europäischen Binnenmarktes die Auslieferung von schützenden Gesichtsmasken über die eigene Landesgrenze hinaus verhindert. Ebenso reflexionsartig wehren sich nun andere EU-Staaten (darunter Österreich) gegen allfällige gemeinschaftliche Finanzierungen von Hilfsleistungen an die am meisten von der Corona-Pandemie betroffenen Länder Italien, Spanien und Frankreich. Aber wie unterscheiden sich die nun angeprangerten Corona-Bonds von alternativen Finanzierungsformen?

Es geht dabei um die Frage, wer bei einem Zahlungsausfall letztlich die Haftung trägt. Als Vergleichskonzepte kommen in Frage: das Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB), der Rettungsschirm des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und die Projektfinanzierung der Europäischen Investitionsbank (EIB).

Corona-Bonds als Gottseibeiuns

Solidarische Haftungen sind in der Europäischen Union heute verpönt, auch wenn es sie oft unbewusst in verschiedenen Formen ohnehin gibt. Besonders negativ werden die schon länger diskutierten Euro-Bonds eingeschätzt, die als Muster für die Corona-Bonds dienen. In einer simplen Version handelt es sich dabei um Anleihen, die von mehreren Staaten gemeinsam begeben werden und für die solidarisch gehaftet wird, um gemeinsam Ausgaben zu finanzieren. Davon profitieren hoch verschuldete Staaten über eine Verringerung der Zinsenlast, wenn sie dadurch nicht überhaupt erst einen Marktzugang erhalten. Die anderen Teilnehmerländer haften mit und müssen höhere Zinskosten in Kauf nehmen, die durch eine möglicherweise höhere Liquidität der Papiere kaum auszugleichen sein wird. Sie wenden zudem ein, dass in den Schuldnerstaaten der Druck zur Sanierung der Staatsfinanzen nachließe. Außerdem wären gemeinschaftliche Haftungen durch die "No-bailout"-Klausel in Artikel 125 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ohnehin untersagt.

Wie sieht es nun mit alternativen Möglichkeiten zur Finanzhilfe an Corona-geschädigten EU-Staaten aus? Am einfachsten liegen die Dinge bei Anleihekäufen der EZB, wenn sie nur der allgemeinen Liquiditätssteuerung in der Eurozone dienen. Die EZB handelt hier nur nach ihren internen Veranlagungsregeln. Diese werden besonders locker beim neuen "Pandemic Emergency Purchase Programme" (PEPP) gehalten. Bei der bis Jahresende 2020 befristeten Corona-Krisenhilfe, die bis zu 750 Milliarden Euro beträgt, kann die EZB selbst griechische Anleihen erwerben.

Der 2012 mit einem zwischenstaatlichen Vertrag der Euro-Staaten gegründete ESM vergibt langfristige Darlehen, für die im Artikel 136 AEUV "strenge Auflagen" vorgesehen sind. Die Mittel für seine Aktivitäten beschafft sich der ESM durch die Begebung von Anleihen, die er auf dem Weltmarkt platziert. Für sie haftet zunächst das von den Mitgliedstaaten eingezahlte Kapital von mehr als 80 Milliarden Euro und in weiterer Folge die Mitgliedstaaten selbst (mit einem abrufbaren Kapital von weiteren 624 Milliarden Euro). Derzeit stehen dem ESM 410 Milliarden Euro frei zur Verfügung.

Viele Spielarten von Euro-Bonds

Die EIB ist gemäß Artikel 309 AEUV eine EU-Institution, sie verfügt über ein gezeichnetes Kapital von 243 Milliarden Euro. Die ausstehenden Darlehen dürfen bis zu 250 Prozent dieses Betrages ausmachen. Auch die EIB refinanziert sich auf den internationalen Kapitalmärkten. Als Beitrag zur Bewältigung der Corona-Krise beabsichtigt sie, bis zu 40 Milliarden Euro an Überbrückungskrediten und Zahlungsaufschüben für kleine und mittlere Unternehmen zu mobilisieren. Es bestehen also schon jetzt mehrere umfangreiche Finanzierungssysteme, bei denen die Mitgliedstaaten der EU beziehungsweise der Eurozone direkt oder indirekt haften, ohne dass dies für sie zu einem Problem zu wird.

Wegen der seit dem Maastricht-Vertrag geltenden Nichtbeistandsklausel steht heute rechtlich in Frage, in welcher Form Gemeinschaftshaftungen zulässig sind. Die EU-Kommission hat deshalb in ihrem Grünbuch zur Einführung von Stabilitätsanleihen verschiedene "machbare" Alternativen entwickelt. Dazu gehören verschiedene Arten von Haftungen (gesamt- oder teilschuldnerisch) und die Staffelung von gebündelten nationalen Anleihen in Tranchen. Das Tranchen-Modell ist mehrfach theoretisch untersucht worden, etwa in Form von sogenannten Blue-and-Red-Bonds. Hier würden die Staatsanleihen von finanzstabilen Ländern bis zu jeweils 60 Prozent ihres BIP in einem Pool an Blue-Bonds zusammengefasst und unter gemeinschaftlicher Haftung vermarktet werden. Die übrigen Schuldtitel der teilnehmenden Länder würden am Markt als nachrangige Red-Bonds gehandelt. Ebenfalls einem Tranchen-Modell unterliegen die sogenannten European Safe Bonds (ESBies), die keine gemeinschaftliche Haftung erfordern und primär der Entkoppelung des Banken-Staatsschulden-Nexus dienen sollen.

Flexible Krisenfinanzierung

Die Corona-Krise wirft nun die Frage auf, ob man in der EU die besonders betroffenen Staaten sowohl gesundheitspolitisch als auch finanziell einfach sich selbst überlässt - durchaus auch zum eigenen Nachteil - oder ob noch so viel Solidarität aufzubringen ist, um länderübergreifende Pandemie-Kompetenzen der EU-Ebene zu übertragen und gleichzeitig temporär gemeinsame Finanzhilfen auf die Beine zu stellen. Bei den Corona-Bonds steht die Haftungsfrage ohnehin im Hintergrund, Länderrisiken spielen in dieser Phase keine Rolle. Vielmehr geht es um eine flächendeckende Hilfestellung im Sinne des Artikels 122 AEUV, die allen EU-Mitgliedstaaten zugutekommt, unabhängig davon, in welchen Regionen Maßnahmen vordringlich finanziert werden.

So gesehen sollte die Politik bei der Krisenfinanzierung flexibel sein und in Alternativen denken, statt kategorisch einzelne Instrumente auszuschließen.