Moussavi: "Bin bereit, für Gerechtigkeit zu sterben". | Larijani kritisiert Wächterrat | Teheran/Wien. Irans Kontrollinstanz für alle Wahlen, der den Hardlinern nahestehende Wächterrat, hat Unregelmäßigkeiten bei der Präsidentschaftswahl am 12. Juni zugegeben.
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In 50 Städten, so der Sprecher des Gremiums, habe es mehr Wähler als Wahlberechtigte gegeben. Diese Unregelmäßigkeiten beträfen mehr als drei Millionen Stimmen in rund 50 Städten, hätten aber keine Auswirkungen auf das Endergebnis. Bei der Wahl wurden laut offiziellen Angaben rund 39 Millionen. Stimmen abgegeben, davon 63 Prozent für Amtsinhaber Mahmoud Ahmadinejad und 34 Prozent für seinen Herausforderer Hossein Moussavi. Drei Millionen machen rund 7,7 Prozent der Stimmen aus.
Moussavi bezeichnete die symbolische Erkenntnis des Wächterrats als "Farce", forderte erneut Neuwahlen und will dafür bis ans Äußerste gehen: "Ich hatte ein erfülltes Leben und bin bereit, für die Gerechtigkeit zu sterben", ließ er ausrichten. Außerdem zog der als letztes Mittel des Protests einen Generalstreik in Betracht.
Seit Tagen liefern sich Demonstranten und religiöse Milizen auf den Straßen aller großen Städte Irans Straßenschlachten. Bei der brutalen Vorgehensweise der Basij-Milizen wurden allein am Samstag offiziell mindestens zehn Menschen getötet. Unter ihnen war laut Internet-Informationen die 19-jährige Studentin Neda, die angeblich durch einen Scharfschützen der Basij-Milizen getötet worden sein soll. Im Internet wird ein Video gezeigt, in dem sie auf der Straße verblutet.
Tatsächlich sollen seit Beginn der Unruhen bereits Hunderte Regimekritiker ums Leben gekommen sein. Nicht einmal die Protestform, vom Dach seines Hauses aus seinen Unmut hinauszuschreien, schützt vor Gewalt: Wie aus Teheran zu hören ist, ist eine etwa 60-jährige Frau, die auf ihrem Flachdach "Tod dem Diktator" gerufen hatte, von einem herbeigeeilten Basij-Milizionär in die Tiefe gestoßen worden sein. Weltweit, unter anderem auch in Wien, setzten tausende Exiliraner am Wochenende ein Zeichen, zeigten sich mit den Demonstranten solidarisch und verlangten eine Wiederholung des Urnenganges.
Hoffen auf Rafsanjani
Währenddessen bestatteten die Menschen in Teheran die ersten Toten vom Samstag. "Meine Tochter Jasaman war erst 23 Jahre alt. Sie stand kurz vor dem Abschluss ihres Jusstudiums", erzählt Mansour F., der seine Tochter am Samstag nicht außer Haus gehen lassen wollte. "Mehrmals habe ich sie angefleht, nicht zu gehen; ihr gesagt, dass die Basij-Milizen Barbaren wären und keine Rücksicht auf irgendjemanden nehmen würden. Sie wollte nicht hören, sie sagte, sie müsse einfach ihre Pflicht tun, denn Moussavi brauche sie. Dann bin ich den ganzen Samstag unruhig gewesen, habe Jasaman nach Meldungen über Unruhen am Revolutionsplatz ("Meydane Enghelab") sofort angerufen. Sie sagte, sie lebe und es gehe ihr gut. Am Sonntagmorgen nahm man mir mein Leben, als ihre Kolleginnen mir ihre Leiche vor die Türe brachten. Ich habe alles verloren. Sollen sie mich doch auch töten, ich werde nicht weglaufen." Mansour F. ist alles egal. Er will nur noch Gerechtigkeit für seine zu Tode geprügelte Tochter und hofft auf Ali Akbar Hashemi-Rafsanjani, der die Reformer unterstützt.
Er ist der zweitmächtigste Mann Irans, Mentor Moussavis und bastelt seit Tagen an einer Allianz gegen Ahmadinejad. Letzterer hatte ihn der Korruption bezichtigt, die Behörden angewiesen, seine Kinder nicht ausreisen zu lassen, und sogar vorübergehend seine älteste Tochter Faezeh und vier andere Angehörige Rafsanjanis, die sich mit Moussavi-Anhängern trafen, für zwei Tage verhaften lassen. Rafsanjani war auch demonstrativ der Freitagspredigt von Irans oberstem Führer Ali Khamenei, der seinem Schützling Ahmadinejad die Stange hielt, ferngeblieben und schmiedet hinter den Kulissen an einem Ausweg aus der Staatskrise. Dass der Wächterrat Manipulationen zugab und Khameneis Allmacht im Iran allmählich zu zerbröckeln droht, ist Rafsanjanis taktischen Manövern im Hintergrund zuzurechnen.
Indes warnte Ex-Präsident Mohammad Khatami, dass im Iran mit der Verhängung des Kriegsrechts gerechnet werden müsse, damit Sicherheitskräfte und Militär die Macht im Land übernehmen könnten. Am Montagnachmittag machte ein Militärsprecher erneut klar, dass gegen alle Demonstranten hart durchgegriffen würde. Diese suchen nun nach neuen Formen des Protestes: Moussavi rief dazu auf, als Zeichen gegen die Gewalt am späten Nachmittag die Autoscheinwerfer einzuschalten.
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