Lokalaugenschein in Havanna: Die Ankündigung der historischen Wiederaufnahme der Beziehungen mit den USA wird mit Stoizismus quittiert.
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Havanna. Das Gerücht kommt am Mittag aus dem Küchenradio. Verbreitet sich im Patio, wo es die Großmutter im Schaukelstuhl aufschreckt. Findet seinen Weg ins Wohnzimmer, kreist um den Essenstisch und surrt dann durch das kleine Café im vorderen Teil des Gebäudes ins Freie. Hinaus auf die sonnendurchflutete Straße in Havannas charmant-morbidem Zentrum, auf der zwei junge Männer gerade die Reifen ihrer Fahrradtaxis flicken.
Man findet sich um den Fernseher zusammen. Fünf Familienangehörige, die in ihrem Haus aus der Kolonialzeit ein Casa Particular betreiben, ein vom Staat genehmigtes Bed&Breakfast mit angeschlossenem Café. Außerdem ein paar Gäste, die beiden Pedal-Chauffeure, eine Gemüseverkäuferin. Die Namen der Anwesenden sollen hier keine Rolle spielen. Es ist für Kubaner immer noch ein Risiko, mit ausländischen Journalisten zu sprechen. Die Leute tun es trotzdem. Spätestens seit Raúl Castro zur konstruktiven Kritik am System aufgerufen hat, raunzt selbst der Taxifahrer am Flughafen, kaum war man eingestiegen: "Wir wollen mehr Wandel. Endlich frischen Wind."
Dieser kam dann am Mittwoch völlig unverhofft und ohne jegliches Brimborium.
Man schaltet den Fernseher ein: Telesur, der alternative Nachrichtensender aus Venezuela, der moderner daherkommt als das staatliche kubanische Fernsehen und einer der sieben offiziell erlaubten Sender ist, obwohl die Kubaner natürlich heimlich mexikanisches Fernsehen schauen, der Telenovelas wegen.
Eine plötzliche Live-Sendung
Auf Telesur also spricht nun live der Außenminister der USA, man zappt mitten hinein in seine Rede. Und da sagt John Kerry gerade, dass das US-Embargo nicht nur Kuba isoliert habe, sondern auch die USA. Und deshalb sei nun, nach fünf Jahrzehnten der Konfrontation, die Zeit für Washington gekommen, um wieder diplomatische Beziehungen mit Havanna aufzunehmen. Ein Botschafter stünde bereits in den Startlöchern, um die Geschäfte am Malecón zu übernehmen - der kilometerlangen Uferpromenade in Havanna, an der die Interessenvertretung der USA liegt. An diesem Mittwochvormittag wird nichts weniger als das Ende des Kalten Krieges in der Karibik verkündet. Nach mehr als 50 Jahren.
Bei Großmutter und Mutter fließen die Tränen. Tränen der Erleichterung und der unbestimmten Hoffnung. Was heißt das? Ein Austausch von Gefangenen findet statt. Drei von einst fünf angeblichen kubanischen Spionen - in Kuba "Helden" genannt, ihre Gesichter prangen auf riesigen Plakaten entlang der Straßen - kommen nach mehr als zehn Jahren zurück auf die Insel, während das kommunistische Regime einen US-Geheimdienstler sowie einen Entwicklungshelfer freilässt.
Sofort hat einer der Fahrradtaxifahrer einen Witz parat: "Was plakatieren sie denn jetzt an den Kreuzungen?" Ein anderer bemerkt: "Jetzt gehen uns aber die Helden aus." Die andächtige Stimmung macht der Heiterkeit Platz. Und der Ratlosigkeit.
Eine junge Englischlehrerin, mit ihrem italienischen Freund zu Gast im Café, steht auf und ruft: "Und wie soll ich das jetzt morgen meinen Schülern erklären? Diese neue Richtung kommt ja wohl ziemlich plötzlich." Zu viele Jahre haben die Kubaner vorgebetet bekommen, dass die USA der feige und hinterlistige Feind seien, mit dem es keine Kompromisse geben könne. Die US-Regierung gab den Kubanern unfreiwillig mit dutzenden Mordversuchen an Fidel Castro, mit Sabotageakten und Unterwanderungen recht. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass Washington die kubanische Hip-Hop-Szene infiltriert habe. Das seien nun eben die Tücken der Dialektik, antwortet ein Gast der Lehrerin trocken. These, Antithese, Synthese.
Über den Gefangenenaustausch hinaus gibt es keine konkreten Ankündigungen, ob und wie sich das Leben für die Kubaner verändern wird. Der Raum für Spekulationen ist offen. Man hofft auf mehr Touristen aus den USA, auf erleichterte Besuche im Nachbarland. Der Sohn der Familie, Anfang 20 und Betreiber des Cafés, sitzt an seinem Smartphone und chattet über Whatsapp. Er hat sich mit einem alten Modem einen Internetzugang gebastelt, der für den Austausch einfacher Textnachrichten ausreicht. Sonst kommt man in Kuba nur in staatlichen Internetshops oder in den Luxushotels ins Internet, die Stunde kostet umgerechnet acht Dollar. Das heißt: kein Twitter, kein Facebook, kein Skype, kein Instagram. Der Nachrichtensturm, der nach der Ankündigung aus dem Weißen Haus durch die USA und Europa zieht, er geht völlig an Kuba vorbei. Keine Hashtags, kein Shitstorm, keine aufgeregten Diskussionen im virtuellen Raum.
Nur Radio und Fernsehen sowie das ganz analoge Gespräch. Manche Leute erfahren die Neuigkeit erst am Nachmittag. Auffällig ist, dass die kubanische Regierung dem Tag eine ganz eigene Deutung zu verleihen versucht, die sie über ihre Medien verbreitet. Die Rückkehr der drei "Helden" und "Kämpfer gegen Terrorismus" steht dort im Mittelpunkt - Fidel Castro hat sie seit Jahren versprochen.
Raúl förderte die Öffnung
Die Wiederaufnahme des Dialogs mit Washington wird hingegen von den Staatsmedien nur nachrangig behandelt. Und doch ist auch sie die konsequente Folge der neuen kubanischen Politik. Raúl Castro hat nach der Übernahme der Macht von seinem Bruder Fidel vor acht Jahren die schrittweise Öffnung Kubas betrieben, hat mehr Privatinitiative, Meinungs- und Reisefreiheit zugelassen. Viele Kubaner eröffneten kleine Snackbars und Reparaturservices, verkaufen selbst angebautes Obst und Gemüse auf kleinen Bauernmärkten. Und vor einem Staat, der vor dreißig Jahren noch das Kauen von Kaugummis und Hören der Beatles zur Subversion erklärte, fürchtet sich heute kaum mehr jemand.
Der junge Cafébesitzer mit dem halblegalen Modem sagt, dass mit Raúl vieles besser geworden sei. Und er schließt von der Ankündigung des US-Außenministers im Fernsehen auf etwas sehr Praktisches. Er hofft, dass jetzt das Reisen weiter erleichtert werde. Einmal war er schon unterwegs, in Südamerika. Aber es habe Wochen gedauert, bis er die Reisegenehmigung in den Händen hielt. "Das könnte schneller gehen. Ich will ja gar nicht abhauen. Ich will Teil des Wandels sein. Der wird kommen. Nächstes Jahr oder in fünf Jahren."
Kubaner mit und ohne CUC
Der junge Mann hat, im Gegensatz zu den meisten Kubanern auch das nötige Geld, um sich eine Flugreise leisten zu können. Sein Café und das Bed&Breakfast seiner Eltern laufen gut, und er hat einfachen Zugang zur Ausländerwährung CUC, dem konvertiblen Peso. Dieser ist 25 Mal so viel wert wie der einfache kubanische Peso.
Die beiden Währungen haben in Kuba in den vergangenen Jahren für Verwerfungen gesorgt. Kuba ist heute gespalten in Menschen mit CUC und solche ohne CUC. Jeder versucht deshalb, irgendwie mit Touristen zu arbeiten. Von den Fahrradtaxifahrern auf der Straße, von denen der eine Architektur studiert hat und der andere Elektroingenieur ist; bis hin zum Lehrer, der bei sich zuhause zwei Zimmer freiräumt und eine kleine Herberge betreibt. Er zahlt dafür eine Gebühr an den Staat und muss auch für jeden Gast Steuern abführen, hat außerdem Investitionen zu leisten, weil das Haus einen gewissen Standard aufweisen muss. Doch wenn man überlegt, dass er pro Zimmer und Tag im Schnitt 25 CUC kassiert (rund 25 Dollar), während die ratlose Englischlehrerin den monatlichen Einheitslohn von umgerechnet 25 CUC erhält, kann man sich vorstellen, wie stark das Gefühl der Ungerechtigkeit ist.
Später, am Nachmittag, kommt man gleich hinter dem Capitol, in einem der neuen schicken Cafés, in denen internationale Loungemusik läuft, mit zwei Künstlern ins Gespräch. Sie sind Anfang 30, tätowiert und gepierct, trinken Dosenbier. Einer stöhnt erleichtert: "Endlich. Es ist mal etwas passiert!" Und er sagt, dass ihm die Revolution "am Arsch vorbei" gehe. Wie solle die denn noch funktionieren, wenn er mit dem Verkauf seiner Drucke an Touristen rund 40 CUC im Monat verdiene, während seiner Mutter nur 25 CUC bekommt. Sie ist Dekanin an der Universität.
Einigkeit herrscht dann bei den beiden Künstlern, als es um die USA geht. Sie sagen: Wir wollen keine amerikanischen Verhältnisse bei uns. Kein Starbucks und keinen Bankenkapitalismus. Tatsächlich hört man diese Differenzierungen häufig in Kuba, schon am Vormittag im Café klang es an: Bei uns ist es schlimm und wir dürsten nach Wandel. Aber ihren "American way of life" können sie sich behalten. Wir wollen nicht die Kluft zwischen Reich und Arm wie in Brasilien. Nicht den Drogenkrieg Mexikos. Nicht die Landkonflikte Kolumbiens.
Ortswechsel. Durch das bürgerliche Viertel Vedado mit seinen Villen und modernistischen Häusern zieht eine kleine Demonstration, angeblich spontan. Es sind Anhänger des Regimes, welche die Revolution hochleben lassen. Wenige hundert Menschen, um die herum der Alltag weitergeht und der Verkehr der vielen die Luft verpestenden 50er-Jahre-Karossen dröhnt. Die Demo endet unterhalb des Luxushotels Habana Libre, dem ehemaligen Hilton, das vor mehr als 50 Jahren von der kubanischen Regierung enteignet und verstaatlicht wurde. Dass Fidel Castro und Ché Guevara dem Volk damals zurückgeben wollten, was sie für des Volks hielten, beschleunigte die Entscheidung der USA zum Embargo. Die Kubaner, so dachte man in Washington, würden einknicken. Heute heißt es im offiziellen Statement Barack Obamas: "Wir können nicht fortfahren, das immer Gleiche zu tun und neue Ergebnisse erwarten."
Auf der Straße sagt einer: "Wir Kubaner haben mit Willenskraft, Ausdauer und Widerstand das verbrecherische US-Embargo besiegt." Es ist eine Lesart. Am Vormittag im Café hieß es, leicht mürrisch: Das hätten sie doch schon vor fünfzehn Jahren machen können, die Amis und der Fidel.