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Ist das politische Gespräch tot? Medientrainer und Psychotherapeut Stefan Wagner über das unversöhnliche Verhältnis zwischen Politik und Journalismus.
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Wien. Stefan Wagner ist Medientrainer, Psychotherapeut und Autor. Politiker, Journalisten und Manager nehmen seine Dienste in Anspruch, um ihr Wirken, ihre Rhetorik und ihr Image in den Medien zu verbessern. Warum Politiker die Fragen von Journalisten ignorieren, die Reichweite eines Mediums als Dauerwerbesendung für das eigene Parteiprogramm nutzen und sich nur noch in Floskeln und Plattitüden äußern, beantwortet Wagner im Interview.
"Wiener Zeitung": Sie sind Rhetoriktrainer und Psychotherapeut. Warum lügen Politiker?
Stefan Wagner: Die Lüge kann unterschiedliche Beweggründe haben. Ich kann jemanden durch das Vorenthalten der ganzen Wahrheit schonen, ebenso kann ich unnötige Probleme ausräumen, um so zu einer schnelleren Lösung zu kommen oder durch einen Ausschnitt der Wahrheit trennende Kräfte einer Gruppe überwinden. Die Lüge allerdings verliert immer mehr an Härte und wird zu dem, was wir unter Vergehen verstehen. Und zwar, wenn der Eigennutz der Antrieb für die Falschaussage ist. Es existiert seit der Krise eine Sehnsucht nach authentischen und echten Politikern, denen man vertrauen kann, selbst wenn man weiß, dass sie einmal nicht die Wahrheit sagen, weil sie das aus gutem Grund machen.
Und wie darf man das inflationäre Verwenden von Stehsätzen und Plattitüden verstehen?
Es ist ein Schutz, und zwar ein begründeter. Der Journalismus ist unverzeihlicher geworden und das Verhältnis zwischen Politik und Journalismus dadurch unversöhnlicher. Wenn ich einem feindlich gesinnten Menschen gegenübersitze, dann werde ich mit anderen Maßnahmen und Techniken vorgehen, als bei jemandem, dem ich vertrauen kann. Es ist risikoreich, sich nach außen hin zu öffnen und zu zeigen.
Vielleicht weil, wie "Zeit"-Journalist Moritz von Uslar in einem Gespräch einmal sagte, Interviewer immer zu weit gehen? Die interessanten Fragen sind schließlich jene, die niemand beantworten kann.
Ich habe das Gefühl, dass es oft gar nicht mehr darum geht,
der Wahrheit auf den Grund zu gehen, sondern einen Effekt zu erzielen. So etwas spürt das Publikum. Ich unterrichte auch Journalisten und höre immer wieder den Wunsch, eine Möglichkeit zu finden, das Gegenüber zu knacken.
Was entgegnen Sie diesem Wunsch?
Das ist ein subjektiver und egozentrischer Ansatz, da es nicht mehr darum geht, das Bestmögliche für sein Publikum herauszuholen. Warum sollte jemand sagen, was er nicht sagen will? Das Maß an Offenheit kann nur der Politiker bestimmen, niemals der Journalist. Wenn Sie mich etwas fragen, bestimme ich, was ich darauf antworte. Sie können mir das nicht abnehmen.
Wie nehmen Sie den Politikjournalismus in Österreich wahr?
Für eine objektive, perspektivenreiche Annäherung an die Politik fehlt in Österreich Platz und Bedarf. Medien stellen die Emotion voran und sind weniger an der Sache interessiert, sondern an den Mechanismen, die eine Emotionalisierung hervorbringt. Also am Kuriosen, am Superlativen. In der Desavouierung liegt deshalb ein ganz besonderer Reiz, wenn man als Journalist aufzeigt, dass sich hinter einer Aussage oder Person etwas oder jemand anderes verbirgt und damit ein Geheimnis aufdeckt. Der Boulevard und sein Publikum sind damit zufrieden. Politiker haben aber kein Interesse daran, Teil dieses Spiels zu werden. Dadurch kommt es in der Politik zu immer mehr Maskenhaftigkeit.
Die "Financial Times" schrieb vor kurzem gar vom Tod des politischen Interviews. Wie lautet Ihre Einschätzung?
Ich würde das politische Gespräch nicht für tot erklären. Es fehlt seitens des Journalismus an Ideen, der Politikverdrossenheit zu begegnen, und der Mut, Politiker einmal reden zu lassen.
Selbst mit mehr Redezeit weichen Politiker Fragen aus oder ignorieren sie.
Wenn mir ein Politiker nichts sagt oder nichts sagen möchte, dann rede ich nicht mit ihm und suche mir einen anderen Gesprächspartner. Etwa Experten, die mir Hintergründe erläutern, anstatt dem Publikum minutenlang Nullinformation anzutun. Das ist ja vergeudete Lebenszeit.
Wenn Politiker nichts zu einem Thema sagen möchten oder können, wieso äußern sie sich dann öffentlich?
Man hat viele Zuseher und alles, was man gesagt hat, ist draußen. Es geht in jedem Interview um Stimmen und Politiker nutzen die Chance, um Botschaften zu platzieren, die an den Fragen des Journalisten vorbeigehen. Für das Publikum bleibt es unbefriedigend, zeugt von Ignoranz und schadet dem Image des Politikers.
Aber auch dem des Journalisten. Wenn er auf das Beantworten der Frage aufmerksam macht und unterbricht, wird er kritisiert. Warum?
Wenn ein Gespräch etwas feindselig geführt wird und der Journalist seinen Probanden zu lange festnagelt, wird es nervig. Man will irgendwann zu einer Lösung kommen. Dazu kommt es in der kurzen Zeit viel zu selten.
Wieso bleiben Politiker nicht natürlich?
Natürlichkeit bedeutet Arbeit. Wenn ich meine Qualitäten, meine Stärken und Schwächen zeigen möchte, sind die kurzen Medienauftritte nicht ausreichend. Als Coach bietet man der Person Eigenschaften an. Das ist zwar eine Konstruktion, aber ehrlich gemeint und gut gemacht lässt sich die Persönlichkeit medial gut zeigen.
Antrainierte Authentizität wirkt meist nicht nur unnatürlich, Antworten werden dadurch vorhersehbar. Wieso lassen sich Politiker überhaupt auf rhetorische Maßnahmen ein?
Es ist eine Steuerungsmöglichkeit, die dem Journalisten das Gespräch abnehmen soll. Dadurch wird es zumeist sogar besser. Schließlich weiß der Politiker über ein Thema häufig mehr als der Journalist, der und dessen Sender meist nur daran interessiert sind, dass die Show stimmt und der Politiker öffentlich erledigt wird. Ohne Plattitüden.
Sie verbessern die Rhetorik von Politikern und Journalisten. Wie lässt sich das verbinden?
Wie die Fertigkeiten gegeneinander eingesetzt werden, und das klingt jetzt vielleicht feige, ist nicht unsere Entscheidung. Unsere Ausrichtung ist, klar und prägnant zu wirken. Ich appelliere immer an die Politiker, dass man die Verantwortung hat, etwas zu sagen.
Aber Sie unterstützen Politiker dabei, an der Antwort vorbeizureden. Oder täusche ich mich?
Es ist manchmal auch Strategie, wie man ein Thema nicht erzählen kann. Ich als Trainer muss für mich entscheiden, ob ich Gutes damit anrichte.
Wie funktioniert das in der Praxis?
Ich kann die Leute zu Tode langweilen. Oder ich biete eine emotional aufgeladenere Antwort an. Für das Publikum ist es wichtig, dass die Emotion eines Inhaltes stimmt. Wenn ich es als Politiker schaffe, nicht zu antworten, aber emotionale Ladung auf Höhe der Frage anzubieten, habe ich als Dritter nicht den Eindruck, dass ich umgangen wurde. Selbst der Journalist kann sich befriedigt fühlen, obwohl seine Frage nicht beantwortet wurde.
Was lehren Sie den Journalisten im Gegenzug?
Es ist immer eine gute Sache, das Publikum einzuladen und zu sagen, dass das Gegenüber keine Antwort geben wird und man sich auf einen anderen Punkt konzentriert. Alles andere ist sinnlos.
Was macht für Sie gute Rhetorik aus?
Glaubhaftigkeit, Glaubwürdigkeit und eine eigene, interne Grammatik. In dem Moment, in dem man sich einer fremden Grammatik bedient oder Phrasen verwendet, wirkt man unecht. Auch sich selbst gegenüber. Wer sagt schon: "Ich spreche Klartext"? Was soll das? In der Politik wird es immer an Natürlichkeit fehlen, weil ihren Akteuren die interne Grammatik fehlt. Deswegen braucht es persönliche Geschichten, Beispiele und Metaphern.
Hat Österreich gute Rhetoriker?
Sebastian Kurz ist ein guter Rhetoriker, Heinz-Christian Strache ein geeigneter Populist. Eva Glawischnig wird als unsympathisch dargestellt, aber sie bleibt sich treu, ist ehrlich und intelligent, auch wenn man ihr manchmal nicht so gerne zuhört. Uns ist der mutige Politiker abhanden gekommen. Man erlebt nur wenige, bei denen man die Verbindung zwischen Person und Thema spürt. Den Politikern, die mutig waren, wurde übel mitgespielt. Ich kenne kaum jemanden, dem das gut getan hätte, mehr zu sagen, als die Parteilinie erlaubt.
Stefan Wagner (51)
ist Medientrainer, Psychotherapeut und Autor. 2000 gründete der frühere Journalist das Medientrainingsinstitut Intomedia mit Sitz in Wien sowie einem Trainingsort in Berlin. Er ist Spezialist für Interviewtechnik, Interviewstrategie, mediale Kampfrhetorik und Image-Management. 2010 erschien mit "Aufnahme läuft - Ihr erfolgreicher Medienauftritt" Wagners erstes Buch, heuer mit "Das Ende der Blender - Die medialen Muster der Ehrlichkeit" sein zweites Werk.