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Unscheinbarer Marktmanipulator

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Wirtschaft
Hinter den Mauern des gewöhnlichen Reihenhauses in London liefen Deals in Milliardenhöhe.
© reu/Hall

Navinder Singh Sarao, der für einen Börsenkurssturz verantwortlich sein soll, ist verhaftet worden.


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London. Aus Hounslow gibt es selten Sensationelles zu berichten. Der West-Londoner Stadtteil besteht überwiegend aus gewöhnlichen Reihenhäuschen, deren Bewohner ganz gewöhnlichen Jobs nachgehen. Als diese Woche aber morgens vor einem der Häuschen die Polizei aufzog, um Navinder Singh Sarao festzunehmen, hatten die Nachbarn etwas zu reden.

Der 36-jährige Sarao soll nämlich die größte Blitzkrise der Wall-Street-Geschichte ausgelöst haben - und zwar von einem Computer im unscheinbaren Elternhaus aus, das ihm offenbar als Standort und Geschäftszentrale seines Unternehmens "Nav Sarao Futures Limited" diente. Von den US-Finanzbehörden, die nun Saraos Auslieferung fordern, wird dem Börsenhändler vorgeworfen, mit dreisten Marktmanipulationen am 6. Mai 2010 den in Punkten gemessenen dramatischsten Börsensturz in der Geschichte der Wall Street verursacht zu haben.

Binnen fünf Minuten fiel damals der Dow-Jones-Index um 600 Punkte, bevor er sich in den folgenden zwanzig Minuten erholte. An der Börse soll in jener Zeitspanne auf einen Schlag 850 Milliarden Dollar (793 Milliarden Euro) verloren worden sein. Der als "Flashcrash" bekannt gewordene Vorfall hatte zu allerlei Spekulationen Anlass gegeben.

Wie das US-Justizministerium nun glaubt, hatte Sarao den damaligen Kurs-Absturz mit einem automatisierten Handelsprogramm maßgeblich verursacht. Er hatte seine Software angeblich so eingesetzt, dass Börsenhändler an der Futures-Börse von Chicago glauben mussten, es gebe ein Überangebot von Kaufinteressenten. 19.000 Mal soll Sarao in Sekundenschnelle seine "Aufträge" geändert haben, bevor er sie allesamt stornierte - und Chaos auslöste. Anschließend soll der Mann in Hounslow die im Preis abgestürzten Futures-Verträge zurückgekauft haben, um sich einen guten Schnitt zu verschaffen. Manipulationen dieser und anderer Art benutzte Sarao nach Angaben der US-Behörden mindestens fünf Jahre lang, von 2009 bis 2014. Über 40 Millionen Dollar soll er sich in dieser Zeit ergaunert haben. An einem "guten Tag" an der Börse machte er mit seiner elektronischen Trickkiste angeblich mehr als 800.000 Dollar Profit.

"Immer ruhige Leute"

Im US-Staat Illinois ist nun ein Verfahren wegen vielfachen Betrugs gegen ihn eröffnet worden. Sarao drohen 20 Jahre Gefängnis. Das kommende Auslieferungs-Verfahren könnte sich allerdings hinziehen. Bei seinem ersten Auftritt vorm Magistrats-Gericht von Westminster am Mittwochmittag weigerte Sarao sich, einer Auslieferung an die USA zuzustimmen.

Mit der aufgedeckten Spur zu Sarao in London hofft das US-Justizministerium, das Rätsel des "Flashcrashs" von 2010 jedenfalls im Prinzip gelöst zu haben. Zum Paket eidesstattlicher Erklärungen, die das Ministerium an Scotland Yard übergeben hat, gehören auch Reaktionen Saraos auf die Bitte der US-Finanzaufsichts-Behörden um Stellungnahme zu einzelnen Vorfällen im Zusammenhang mit den amerikanischen Ermittlungen. In einem Fall begründete der Brite seine Erfolge damit, er habe "halt schon immer gute Reflexe gehabt und flink gehandelt". Ein andermal entschuldigte er sich bei der Handelsbörse in Chicago für die Stornierung einer Großzahl von Aufträgen mit der Erklärung, er habe nur einem Freund zeigen wollen, "was beim Hochfrequenz-Handeln von Börsen-Geeks so geschieht".

Wieder ein andermal mailte er an seinen Börsenmakler die Mitteilung, er habe gerade "bei der Börse in Chicago angerufen und denen gesagt, sie können mich mal am Arsch lecken". Daheim in Hounslow fühlte sich Navinder Singh Sarao offenbar sicher vor Nachstellungen. Um seine Multi-Millionen-Einkünfte vorm britischen Steueramt geheim zu halten, richtete er angeblich auch Briefkastenfirmen auf zwei karibischen Inseln ein.

Sarao und seine im Hounslow-Haus seit 1982 angesiedelten Eltern seien "immer ruhige Leute" gewesen, erklärten am Mittwoch verblüffte Nachbarn der Familie. Man habe sich in der Straße vom Sehen gekannt und einander Guten Tag gesagt, "aber auch nicht viel mehr", teilte ein Anwohner Reportern mit. "Niemand hat je gedacht, dass irgendwo hinter diesen Mauern so viel Geld gescheffelt würde. Zum Beispiel protzige Autos hat man bei den Saraos nie gesehen."