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"Unser Hinterland ist Österreich"

Von Alexander U. Mathé

Politik

Bratislavas Bürgermeister Ivo Nesrovnal über die Partnerschaft mit Wien.


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"Wiener Zeitung":Die Bahnstrecke zwischen Wien und Bratislava wird ausgebaut. Künftig wird man nur noch 40 Minuten statt gut einer Stunde brauchen, um von einer Hauptstadt in die andere zu kommen. Wird das irgendetwas verändern?Ivo Nesrovnal: Natürlich, für die Reisenden sind kürzere Fahrzeiten immer besser. Aber gleichzeitig muss man auch sehen, dass für die 20 Jahre, die wir schon an einer besseren Verbindung zwischen den Hauptstädten arbeiten, relativ wenig passiert ist. Immerhin sind Wien und Bratislava die naheliegendsten Hauptstädte Europas und wahrscheinlich der ganzen Welt.

Noch schneller ginge es mit dem - noch in der Testphase befindlichen - Hochgeschwindigkeitszug Hyperloop, der die Hauptstädte in acht Minuten verbinden würde. In Bratislava hat man diese Idee schon genauer betrachtet, aus Wien kamen dazu noch nicht allzu viele Reaktionen. Ist das ein Zeichen dafür, dass eher Bratislava als Wien an einer engeren Anbindung interessiert ist?

Dieses Verhältnis großer Bruder - kleiner Bruder gibt es immer. Es muss sich da der Kleinere nach dem Größeren richten und nicht umgekehrt. Wien ist in vielerlei Hinsicht eine Weltstadt, wir sind erst seit 25 Jahren eine Hauptstadt und müssen entsprechend noch unsere Strukturen von Finanzierung bis Verwaltung verbessern. Aber es gibt da schon Sachen, die uns beiden helfen. Das Hyperloop-Projekt ist grundsätzlich ein Privatprojekt, dem wir als Stadt nur zur Seite stehen. Es ist zwar erst in Vorbereitung, aber irgendwann muss man Fantasien auch einfach einmal auf den Tisch legen und versuchen, sie umzusetzen. Vielleicht ist das Ganze erst in 10 oder 15 Jahren spruchreif, aber es ist jetzt schon fordernd. Menschen schauen sich das an, sie arbeiten, sie bilden neue Gemeinschaften, sie geben der Start-up-Szene Impulse, sie forschen und bereiten neue Konzepte vor. Auf diese Wiese entsteht Neues. Am Anfang steht eine wahnwitzige Idee, aber wenn die Leute noch genug Energie haben, dann setzen sie sie um.

Apropos Zugverbindung: Bräuchte Bratislava nicht einmal einen neuen Bahnhof?

Ja; diese Frage bekomme ich immer um die Ohren gehaut. Der Wiener Hauptbahnhof wurde in acht Jahren von null auf hundert gebaut. Wir hatten schon ein fertiges Projekt des Umbaus dieses richtig veralteten Bahnhofs, den wir derzeit haben. Daraus wurde wegen Umsetzungsproblemen leider nichts, aber wir arbeiten daran. Ein kleiner Nachteil ist auch die Kompetenzfrage: Die Bahnhöfe und die Gleise gehören nämlich dem Staat und nicht der Stadt. Aber wenn wir gerade über Mobilität reden: Der Flughafen Schwechat wird zu 15 Prozent von Slowaken genutzt. Ich werde demnächst vorschlagen, dass es nicht mehr Schwechat, sondern Schwechat-Bratislava heißen soll.

Umgekehrt hört man auf dem Flughafen von Bratislava sehr viel Deutsch.

Genau. Wir sollten zumindest die Gleisverbindung zwischen beiden Flughäfen ausbauen. Das ist die alte Strecke der Straßenbahn, die von Wien nach Bratislava geführt hat. Da fehlen eigentlich nur fünf bis sechs Kilometer Gleise. Aber leider befinden die sich mitten in der Pampa und auch noch auf Privatgrund. Aber so eine Verbindung wäre toll.

Was ist der Status quo des slowakisch-österreichischen Partnerschaftsgedankens?

Viel läuft auf inoffizieller, menschlicher und wirtschaftlicher Ebene. Seit sie offen sind, wächst Bratislava über die Grenzen hinaus. Unser Hinterland liegt in Österreich, im Burgenland und in Niederösterreich. Die Bratislavaner ziehen nach Österreich. Dort retten sie Kindergärten. Viele österreichische Bürgermeister haben mir schon erklärt, dass ihnen die Infrastruktur dank Slowaken erhalten bleibt. In Hainburg gibt es inzwischen sogar schon den ersten slowakischen Abgeordneten im Stadtparlament. Das bedeutet aber auch, dass wir in vielen Fragen einfach zusammenarbeiten müssen. Das betrifft das Gesundheits- und Sozialwesen, das Schulwesen und natürlich auch das Verkehrswesen.

Ist das nicht ein eigenartiges Zeichen, dass Bratislavaner in Österreich wohnen, aber in Bratislava arbeiten? Stimmt irgendetwas an den Preismechanismen nicht?

Im Gegenteil: Das beweist doch, dass der Markt funktioniert. Die Grundstückspreise im Burgenland und in Niederösterreich sind bei weitem niedriger als in Bratislava. Und es gibt viel Raum. Das heißt, die Menschen verdienen in Bratislava gutes Geld, kaufen sich Grund und Boden in Österreich, bauen ein Haus und leben günstiger, als wenn sie hier leben würden. Das ist eine beeindruckende Entwicklung seit der Wende.

Bratislava hat nur zwei Prozent Arbeitslose. Was ist das Geheimnis?

Bei uns arbeitet eben nicht nur der, der nicht arbeiten will. Bratislava ist das Zentrum eines Landes, dem es insgesamt gut geht. Wir haben ständiges Wirtschaftswachstum. Aber es steht uns noch vieles bevor - und das sind dieselben Herausforderungen, vor denen auch Stadt Wien steht: die Industrie 4.0. Die Welt ändert sich rapide, die Digitalisierung schreitet in enormem Tempo voran. Das bringt neue Möglichkeiten: Ressourcen sparen, Energie sparen, Umwelt schonen, Arbeitszeit effektiver ausnützen. Wir arbeiten hier mit der Stadt Wien an dem Projekt Smart Twins, denn wir wollen nicht wie Berlin arm, aber sexy sein. Wir wollen reich und sexy sein.

Wie ist es um die Start-up-Szene in Bratislava bestellt?

Die wächst ständig. In Bratislava wurde beispielsweise dieses Flugauto entwickelt, das auch funktioniert. Unsere Stadt fördert Start-ups: Wir haben mit der Universität ein Forschungslabor entwickelt und gebaut. Wir vermieten dort Räumlichkeiten und subventionieren die Leute.

An der Grenze zwischen Österreich und der Slowakei war der Bau eines gigantischen Glückspieltempels geplant. Das Projekt kam nicht zustande und sie waren einer der prominentesten Gegner. Wie sehr schmerzt es da, dass sich jetzt in Bratislava das kleine Glücksspiel breitmacht?

Sehr. Nach dem Verbot der Automaten in Wien sind viele Leute nach Bratislava gekommen. Wir haben quasi die negativen Auswüchse übernommen. An sich ist das Glücksspiel so alt wie die Menschheit: Einer der ersten archäologischen Funde in Bratislava waren beispielsweise Spielwürfel. Also: In irgendeiner Form kann es das schon geben, aber das aktuelle Ausmaß ist krank. Deshalb ist es auch zu eine Petition gekommen. 139.000 Unterschriften wurden gesammelt, um das Glückspiel zu verbieten. Wir bereiten in der Stadt jetzt eine entsprechende Verordnung vor. Ich persönlich finde den Vorschlag ein bisschen extrem. Aber wir müssen ohnedies zuerst abwarten, ob das Stadtparlament dem zustimmen wird. Man könnte ja die Spielcasinos lassen. Aber diese Spielbänke mit abgedunkelten Fenstern in alten Siedlungen oder ehemaligen Lebensmittelläden sind schlimm. In den USA wurde errechnet, dass einem Dollar an Einnahmen fünf Dollar an Ausgaben für die Folgen gegenüberstehen. Die Einnahmen sind privat, die Ausgaben hingegen sozialisiert, sprich: Sie werden über Steuergeld gedeckt.