Zum Hauptinhalt springen

"Unser Konzept von Hilfe findet sein Ende"

Von Klaus Huhold

Wirtschaft

Patrick Tiefenbacher war für die UNO in Afrika stationiert und ist seit 20 Jahren in der Entwicklungspolitik tätig.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Patrick Tiefenbacher kennt die Welt der Entwicklungspolitik. Fast zwei Jahrzehnte war er für UN-Organsiationen in leitenden Positionen tätig. Der Österreicher war etwa für das United Nations Development Programme (UNDP) in Johannesburg stationiert und für die Projektbetreuungen in 27 afrikanischen Ländern zuständig. Mittlerweile betreibt er mit "Global Goals Consulting" eine Beratungsagentur für Entwicklungsprojekte. Der "Wiener Zeitung" erklärte er, warum er glaubt, dass die bisherige Entwicklungspolitik kaum Zukunft hat.

"Wiener Zeitung": Immer mehr Investoren zieht es nach Afrika, immer mehr Länder suchen dort Geschäfte - neben westlichen Staaten sind das mittlerweile etwa auch China, Indien oder Brasilien. Hat das Auswirkungen auf die Entwicklungspolitik?

Patrick Tiefenbacher: Ja, es hat die Dynamik stark verändert, und dabei ist die Tendenz klar. Die Transferleistungen der Geberländer aus dem Norden in den Süden spielen eine immer geringere Rolle. Unser derzeitiges Konzept von Hilfe ist damit verurteilt, sein Ende zu finden.

Wie aber operiert China?

Für China geht es um Wirtschaftsinteressen, um einen wirtschaftlichen Dialog. In Tansania war ich während meiner Zeit bei der UNO in ein Projekt involviert, in dem es darum ging, wie man Regenwasser sammeln und als Trinkwasser aufbereiten kann. China hat das auf einem industriellen Level gemacht und der Regierung in Tansania angeboten. Diese war stark an der Technologie interessiert, aber stellte sich die Frage, bei wem sie eine Expertise einholen könnte, ob sie für sich diese Technologie sinnvoll einsetzen kann. Chinas Regierung und die Firma, die das produziert, konnte sie nicht fragen, weil die ein kommerzielles Interesse hatten. Also hat sich Tansania an die UNO gewandt. Die Regierung wollte nicht Gelder lukrieren, sondern sie hat einen neutralen Partner gesucht, der sie in Bezug auf ihre eigenen Projekte beraten kann. Und das ist ein ganz neues Modell von Entwicklungszusammenarbeit, das mehr und mehr im Werden ist. Es geht dabei darum, fast schon wie eine Management-Consulting-Firma Beratung zu liefern, die auf die lokalen Bedingungen eingeht, Qualitätssicherung durchführt und die Risiken für alle Partner herunterbricht.

Sie betreiben selbst eine derartige Consulting-Firma. Warum braucht es hier schon wieder Berater von außen, aus dem Westen? Warum kann das Tansania nicht selbst feststellen?

In Tansania selbst gab es zu viele Interessen, die sich nicht alle unter einen Hut bringen ließen. Ein Land ist ja kein einheitlicher Akteur, und es gab ziemlich starke Reibungen zwischen den einzelnen Ministerien. Die Zivilgesellschaft hat sich wiederum Gedanken um die Auswirkungen auf die Umwelt gemacht. Zudem hat Tansania selbst Firmen, die in der Aufarbeitung von Regenwasser tätig sind. Sie haben das Projekt als Bedrohung gesehen. Man brauchte also einen neutralen Vermittler, der versuchen konnte zu abstrahieren: Was ist die Optimierung all dieser Interessen und Konflikte, die entstehen können? Dieses Wissen gibt es vielerorts, es muss nicht aus dem Westen kommen.

Die UNO kann das nicht liefern?

Die UNO wäre prädestiniert für solche Leistungen, aber ihr Business-Modell ist in den 70er Jahren stecken geblieben. Sie zieht einen Prozentsatz der Gelder, die durch ihre Konten fließen, ab, um die eigenen Strukturen zu finanzieren. Speziell im Entwicklungsbereich hat die UNO kein Business-Modell, das ihr erlaubt, Serviceleistungen anzubieten. Genau so wie die UNO finanzieren sich NGOs: Sie bekommen Gelder auf ihre Konten überwiesen, setzen diese in Projekte um und ziehen einen Prozentsatz für ihre Verwaltung ab. Dieses Modell wird sich nicht mehr so lange halten.

Wieso? Es gibt ja noch genug Armut und damit Aufgabenfelder für Hilfsorganisationen.

Weil es eine Spendenmentalität voraussetzt. Entwicklung wird in der Zukunft aber viel mehr über die Business-Schiene laufen. Nehmen wir als Beispiel Kenia: Vor rund zehn Jahren war die Infrastruktur für Kommunikation noch eine Katastrophe. Privatfirmen wie der Mobilfunkanbieter Safaricom haben das als Möglichkeit gesehen, großflächig in diese Infrastruktur zu investieren. Gleichzeitig haben die Investoren bemerkt, dass ein Großteil der Bevölkerung keinen Zugang zu Banken hatte und keine Geldtransfers machen konnte. Sie brauchten also ein zusätzliches System, durch das die Kunden ihre Handygebühren zahlen. Damit war Mobile Banking in Kenia geboren. Millionen von Menschen, die in Slums gelebt und keine Chance gehabt haben, in die öffentliche Wirtschaft integriert zu werden, haben dadurch plötzlich die Möglichkeit bekommen, über ihr Handy Geld zu transferieren. Diese Investition hatte die kenianische Regierung in keinem Entwicklungsplan stehen, sondern sie war ein Nebenprodukt der Investitionen von Privatfirmen, die das Potenzial des Marktes erkannt und das so umgesetzt haben, dass ein Entwicklungsvorteil entstanden ist.

Muss sich das ausschließen - die bisherige Entwicklungszusammenarbeit, bei der staatliche Institutionen und NGOs stark eingebunden waren, und der Business-Ansatz?

Ganz und gar nicht, aber die Tendenz geht in die Richtung, dass Privatinvestitionen durch Firmen viel wichtiger sein werden als Ausgaben durch die öffentliche Hand.

Indem sie mehr Geld ins Land bringen oder indem Investoren auch Entwicklungspolitik betreiben?

Zweiteres. Weil Privatinvestoren Investitionen machen, die einen Nutzen für die Entwicklung haben. Das bedeutet aber, dass Firmen auch das Wissen haben müssen, wie sie ihre Investitionen für Entwicklung öffnen können. Es gibt hier etwa das Beispiel der Brauereien. Sie sehen in Afrika einen Absatzmarkt für Bier, der aber voraussetzt, dass sie eine sichere Trinkwasserquelle haben müssen. Es liegt also in ihrem Business-Interesse, dass auch die lokalen Gemeinschaften sauberes Trinkwasser haben.

Aber wer kümmert sich um das Wasser, wenn die Brauerei nicht mehr da ist, weil plötzlich die Löhne woanders billiger werden? Sind die Menschen in diesem Modell nicht enorm vom Wohlwollen des Investors abhängig?

Es gibt einen wichtigen Unterschied: Die Investition wird vielleicht von der Brauerei gemacht. Das heißt aber nicht, dass sie den Brunnen gräbt oder betreibt. Sie kann sich auch jemanden aussuchen, der bestplatziert ist, um dieses Projekt umzusetzen. Das mag eine internationale oder lokale Firma sein - oder auch die lokale Gemeinschaft. Wir müssen also trennen: Wer trifft die Investitionsentscheidung, wer hat die Mittel für die Investition und wer setzt sie auf welche Art und Weise um. Und unabhängig davon, ob die Investition von der Regierung, einer internationalen Organisation oder einer privaten Firma finanziert wird - das Umfeld bleibt immer dasselbe. Man muss sich mit den lokalen Gemeinschaften auseinandersetzen, darüber Gedanken machen, wie das Projekt gemanagt wird und wer dabei Entscheidungsrechte hat.

Die Brauerei profitiert selber vom sauberen Wasser. Aber bei anderen Investoren kann man sich fragen, warum sie Interesse an Entwicklung haben sollten. Afrika ist ja ein Kontinent voller Ressourcen. Wie die Menschen rund um Ölquellen leben, kann ja dem Investor egal sein. Der will doch oft nur durch möglichst niedrige Produktionskosten möglichst viel Gewinn machen.

Traditionell haben wir Entwicklungsländer sehr stark als Quelle für Rohstoffe gesehen, und die Märkte waren alle im Westen und im Norden. Diese Märkte aber wachsen nicht mehr. Plötzlich sind die früheren Lieferanten von Ressourcen unsere künftigen Absatzmärkte. Firmen sind dadurch veranlasst, anders zu denken. Sie werden es nämlich nur schaffen, in diesen Ländern Fuß zu fassen, wenn sie sich verantwortungsvoll bewegen und bei den Konsumenten einen guten Ruf haben.

Noch immer gibt es aber viele abgelegene, verarmte Regionen in Afrika. Dort leben ein paar Bauern von dem, was sie anbauen. Sie bewegen sich außerhalb des Wirtschaftskreislaufes. Warum sollten Investoren dort etwas aufbauen wollen?

Es ist nicht so, dass der Staat keine Funktion mehr hat - bloß weil wir private Investitionen haben und die in Summe viel höher sind als die des Staates. Der Staat hat die wichtige Rolle, Rahmenbedingungen zu setzen und sich um marginalisierte Bevölkerungsgruppen zu kümmern. Zudem ist zu bedenken: Wenn Staaten automatisch gut wären, wäre es nie so weit gekommen. In vielen Ländern ist es kein Zufall, welche Gruppen marginalisiert sind: Sie gehören etwa der falschen Ethnizität, Partei oder Religion an. Da kommt das Mandat von internationalen Organisationen hinein: Sie sollen Staaten verantwortlich halten, Rahmenbedingungen zu schaffen, die allen Gruppen in der Bevölkerung zugutekommen. Können private Investitionen trotzdem noch eine Rolle spielen? Selbstverständlich. Werden Privatinvestoren sich darum reißen, in einer abgelegenen Gemeinschaft von 30 Leuten ein Krankenhaus zu bauen? Wahrscheinlich nicht. Der Punkt ist: Investitionen finden so oder so statt, jeden Tag und jede Stunde werden Investitionsentscheidungen getroffen. Und man kann einen Ansporn geben, dass sie auf eine Art und Weise stattfinden, die auch zu Entwicklungsvorteilen führt.

Patrick Tiefenbacher studierte in Wien und an der Columbia Universität Chemie, Politologie und Internationale Beziehungen. Er arbeitete für das Entwicklungs- und das Umweltprogramm der UNO (UNDP und UNEP) und war dabei unter anderem
für strategische Planungen zuständig. Heute betreibt er die Beratungsfirma "Global Goals Consulting".