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Kein Mehl im Regal, aber frisches Brot auf dem Tisch. Auch das ist Corona-Krise. Über die neue Lust am Brotbacken.
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Das Zeichen des Erfolges sind kleine Luftblasen. Sie bringen Leben in die dichte graue Mehl-Wassermischung, die seit Tagen auf dem Fensterbrett in einer Glasschüssel arbeitet. Sie verwandeln das an Zement erinnernde Gemisch in luftige Masse, Schokoladenmousse ähnlich. Nur ohne den Duft. Der kommt erst später. Und ganz anders.
Mehl hat sich in der Corona-Krise als Klopapier der Lebensmittelbranche entpuppt. Mühlen laufen auf Hochtouren, Getreidelager sind voll - und doch sind die Regale oft leer. Man komme mit dem Abfüllen und Bedrucken der Säcke nicht nach, erzählt etwa ein regionaler Müller. Laut der Studie eines deutschen Marktforschungsunternehmens ist der Umsatz von Getreidemehl im Einzelhandel um das Vier- bis Fünffache gestiegen. Bäckereien klagen hingegen über Umsatzverluste. Brot essen Menschen natürlich weiter. Aber sie backen es vermehrt selbst.
Lehrstunde in Chemie für entschleunigte Anfänger
In der Glasschüssel ist am fünften Tag der Sauerteigansatz fertig. Ein Vielfaches der ursprünglichen, täglich mit Mehl und Wasser gefütterten Masse ist es geworden. Leicht säuerlicher Geruch geht von dem Klumpen aus. Hebt man das Tuch, sinkt er sanft in sich zusammen. Zu fragil sind die treibenden Kulturen. Chemie für entschleunigte Anfänger. Oder eher Alchemie?
Der jüngste Brotbackboom sorgt derzeit nicht nur für leere Regale, Küchenmaschinen sind nur mit langen Wartezeiten zu bekommen, Backzubehör ist gefragt. Eine, die Backen nicht erst in Corona-Zeiten entdeckt hat, ist Christina Bauer. Die bloggende und backende Bäuerin aus dem Salzburger Lungau hat schon vor Jahren traditionelles Handwerk mit digitalen Methoden verknüpft. Mit Backkursen, Blogs, Videos und Büchern hat sie im malerischen Göriachtal auf 1250 Metern den Spagat zwischen Natur und Technik geschafft. "Es ist eine spezielle Zeit", erzählt sie im Telefoninterview: "Viele Menschen haben plötzlich mehr Zeit, müssen sich daheim beschäftigen, weil andere Hobbies flachfallen."
Selber machen, egal in welchem Bereich, war schon vor der Corona-Krise wieder gefragt. Gerade in Berufen, bei denen man nicht immer ein unmittelbares Ergebnis sieht. Beim Brot ist das anders, sagt Christina Bauer: "Nach einer guten Stunde habe ich einen Laib Brot in der Hand, mit den eigenen Händen gefertigt. Es ist ein Ergebnis zum Angreifen, das gut schmeckt und guttut. Sogar das Haus riecht gut."
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Beim Sauerteig auf der Fensterbank ist es - im Gegensatz zu schnellen Rezepten mit Germ - mit einer Stunde nicht getan. Die reine Arbeitszeit ist überschaubar. Doch die Stunden, in denen nicht der Mensch, sondern der Teig arbeitet, sind ziemlich viele.
Bei Christina Bauer ist die Nachfrage in allen Bereichen gestiegen. Die Seitenaufrufe ihre Homepage haben sich mindestens verdoppelt, fünf Millionen waren es diesen März. Auch ihre Backprodukte sind gefragt. Das Mehl einer lokalen Mühle hat sie nach ersten Hamsterbestellungen aus dem Sortiment genommen: "Menschen wollten 60 Kilo Mehl bestellen. Da stimmte das Verhältnis nicht. Dabei ist es mir auch darum gegangen, Leute zu erziehen, hin zu einem gewissen Nachdenken," erzählt die passionierte Landwirtin: "Kleine Mühlen, die es in allen Regionen gibt, haben tolle Qualität. Dort sollten die Leute hingehen."
Rückbesinnung auf Tradition, Wertschätzung für Handwerk
Der Sauerteigansatz vom Fensterbrett ist am großen Backtag nun so weit. Er darf Teig werden. Klebrige Angelegenheit. Mehr Mehl und Wasser, Körner, Gewürze, je nach Rezept. Die sorgsam gezüchteten Bläschen sind weg. Nach Brot schaut hier noch nichts aus. Aber für die sich ziehende Masse heißt es sowieso: zurück zur Arbeit, bis wir uns am Abend wiedersehen.
"Ohne Brot geht nichts", ist Christina Bauer überzeugt. Und nicht nur für die zweifache Mutter ist Brot ein Grundnahrungsmittel: "Ohne Kuchen kommt man gut aus. Aber Brot essen wir zweimal am Tag. Man kann es auch schlecht auf Vorrat kaufen." Im Takt des Einkaufens liegt für viele Neo-Brotbäcker der aktuelle Impuls zum Selbstbacken. Während sich viele Lebensmittel gut lagern lassen, ist für frisches Brot mehrmals wöchentlich das Haus zu verlassen. Selbst zu backen ist hier aktuell für viele Menschen eine probate Lösung.
Sein eigenes Brot zu backen, ist eine Tradition, die noch gar nicht so lange aus den Haushalten verschwunden ist. Gerade in ländlichen Gebieten. Christina Bauers Schwiegermutter buk auf dem Hof der Familie. Für die Jungbäuerin damals die Initialzündung, die ihre Neugierde für das Brot weckte. Ob sie aktuell eine neue Wertschätzung für das Handwerk sieht? "Menschen beschäftigen sich mehr damit. Das ist ein Trend, den wir schon länger beobachten. Gerade kleine Betriebe können nur überleben, wenn sie das Handwerk in den Vordergrund stellen. Wenn sie herzeigen, was sie tun. Die Gruppe an Menschen, die jetzt selbst bäckt, ist dieselbe Zielgruppe, die qualitativ hochwertige Lebensmittel kauft, wenn sie dann keine Zeit mehr hat."
Nach acht Stunden sind jetzt auch wieder die Bläschen da. Auf knapp das Doppelte haben sie den Teig wieder wachsen lassen. Der Sauerteig tut seine Wirkung. Jetzt soll er endlich Brot werden. Immer noch recht klebrig. So richtig formen lässt sich die Masse nicht. Widerspenstig. Lustvoll meditatives Kneten sieht anders aus. Dann eben die Kastenform. Glatt geformt und mit Körnern bestreut, liegt der längliche Klumpen nun in der schwarzen Metallform. Und erinnert zum ersten Mal an etwas Brotähnliches. Doch vor dem Ofen darf er noch einmal eine gute Stunde arbeiten. Wieder einmal. Eine letzte Runde am Fensterbrett.
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Die Sehnsucht, sich selbst versorgen zu können, ist in den vergangenen Jahren in vielen Städtern wiedererwacht. Brot spielt dabei eine wichtige Rolle. Mit Brot und Wasser lässt es sich zwar nicht langfristig kulinarisch schwelgen, wohl aber überleben. Auch Gemeinschaftsgärten belegen diese Bewegung. Für beides braucht es Zeit und Geld. Werden Menschen naturverbundener durch die Krise? "Es besteht zumindest die Chance", sagt die Lungauerin. "Für ein Umdenken muss aber auch die Landwirtschaft offener werden, Einblicke gewähren, Kunden zeigen, wo etwa das Fleisch herkommt. Da sind beide Seiten gefragt."
Die Kastenform füllt das Brot jetzt bis zur Kante aus, die selbst gezüchteten Hefepilze haben noch einmal ganze Arbeit geleistet seit dem letzten Lüften des Tuches. Aber jetzt: Ende der Geduldsprobe und ab ins Rohr.
Neben schnellen Germteigen, die oft gleich aus der Schüssel ins Rohr kommen und bei denen die Lust am Kneten nicht zu kurz kommt, hat in Zeiten des Homeoffice vor allem der anfangs aufwendigere Sauerteig Hochsaison. Auch aus der Not heraus, denn Germ als Triebmittel ist mancherorts rar geworden. Die wichtigste Zutat Zeit ist bei vielen Manschen momentan durchaus vorhanden. Auch für Christina Bauer war der erste Sauerteig eine Herausforderung: "Es klingt kompliziert. Ich bin auch beim ersten Mal ausgestiegen. Doch Sauerteig ist so etwas Wertvolles. Man nimmt nur Mehl und Wasser. Es ist nicht schwierig, es dauert nur länger. Es ist ein Erlebnis, wenn das zu wachsen beginnt, sich die ersten Blasen bilden. Die Hefepilze müssen sich vermehren. Das braucht Zeit." Also eigentlich das perfekte Produkt für die Entschleunigung, von der jetzt alle reden. Auch das Kneten ist hier ein gutes - sehr produktives Mittel. "Yoga für die Hände" nennt es Christina Bauer lachend.
Nicht nur die Küche erfüllt wenig später ein verführerischer Duft. Es riecht nach frischem Brot. Das, was da aus dem Ofen kommt, sieht auch so aus. Knusprig, braun gebacken, innen saftig. Mehr als Butter braucht es nicht, um zu munden. Und der Sauerteig? Von dem bleibt beim Backen stets ein klein wenig übrig. Der steht jetzt gut verschlossen im Kühlschrank. Und wartet auf den nächsten Schub Backfieber. Dann wird er wieder "gefüttert" und darf am heimischen Fensterbrett wieder seine Bläschen schlagen.
www.backenmitchristina.at