![Eine Illustration einer Frau mit Kopftuch.](https://media.wienerzeitung.at/f/216981/2500x1875/a87666ab3f/wz_podcast_header_fatima_storer.jpg/m/384x288/filters:quality(50))
Deutsche Kanzlerin mahnt zu "fairem und vernünftigem" Umgang.
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Paris. Pauline war sich voll bewusst, dass sie ihre Gesundheit und ihre Freiheit aufs Spiel setzte, als sie sich vor einem halben Jahr der Organisation "Femen France" anschloss. "Total und radikal" nennt die 27-jährige Französin ihr Engagement für die militante Frauenrechts-Gruppe, die 2008 in der Ukraine gegründet wurde und inzwischen Ableger in ganz Europa eröffnet hat, den ersten davon in Frankreich.
Markenzeichen von "Femen" sind barbusige Aktionen, um öffentlichkeitswirksam gegen Diskriminierung, diktatorische Regime, Gewalt, Homophobie, den Einfluss von Religionen oder Rechtsextremismus zu protestieren. Ihre nackten Oberkörper bemalen die Frauen mit Slogans, laut skandierend halten sie Spruchbänder hoch und setzen sich Sicherheitskräften zur Wehr, die die Störenfriede gewaltsam wegschaffen.
"Ich war kein hartes, mutiges Mädchen, bevor ich zu Femen kam", erzählte Pauline Hillier noch vor wenigen Wochen im Femen-Hauptsitz in Paris. "Heute bin ich es." Natürlich fürchte sie sich vor Schlägen, zwei ihrer Mitstreiterinnen haben sogar schon Zähne verloren. "Aber wenn wir zurückweichen, können wir gleich aufgeben."
Proteste gegen eine Salafisten-Versammlung
Für ihre Risikobereitschaft bezahlt sie nun teuer: Ende Mai wurden sie, ihre 23-jährige Landsfrau Marguerite Stern und die 19-jährige Deutsche Josephine Markmann festgenommen. Das war bei einer Solidaritäts-Aktion vor dem Justizpalast in Tunis für die 18-jährige Tunesierin Amina Sboui, die das Wort "Femen" auf eine Mauer geschrieben hatte, um gegen eine Salafisten-Versammlung zu protestieren. Heute, Mittwoch, erwartet die drei Europäerinnen ihr Prozess wegen "unzüchtigen Verhaltens". Ihnen drohen bis zu sechs Monate Haft. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat beim Besuch des tunesischen Ministerpräsidenten Ali Larayedh in Berlin einen "fairen und vernünftigen Umgang" angemahnt. Die französische Frauen-Ministerin Najat Vallaud-Belkacem äußerte sich besorgt über das Schicksal der jungen Frauen.
Unumstritten sind die Methoden der selbst ernannten "Sextremisten" allerdings nicht. In Frankreich dreht sich die Stimmung nach einem Nackt-Auftritt in der Kathedrale von Notre-Dame gegen sie. Die meisten Feministinnen halten Abstand zu den amazonenhaft auftretenden Aktivistinnen, die statt auf intellektuell unterfütterte Debatten auf plakative Aktionen setzen und die Instrumentalisierung von Frauen durch die Sex-Industrie anprangern, eben indem sie sich selbst ausziehen.
"Angezogen nahm man
uns nicht ernst"
Sie drehen den Spieß um, erklärt "Femen France"-Chefin Inna Shevchenko: "Unsere Brüste sind unsere Waffen." Früher habe sie auf herkömmliche Weise und bekleidet für die Rechte von Frauen gekämpft. "Man nahm uns nicht ernst", sagt die 23-jährige Ukrainerin. "Die wollten nicht mit uns reden, uns nur ansehen. Also benutzen wir unsere Körper als Medium und zwingen sie, unsere Slogans zu lesen." Im August 2012 floh die charismatische junge Frau nach Frankreich, nachdem ihr in ihrer Heimat die Festnahme wegen Blasphemie drohte: Zur Unterstützung der drei inhaftierten Mitglieder der russischen Punkrock-Band Pussy Riot hatte sie ein orthodoxes Holz-Kreuz umgesägt.
In Paris baut sie seither eine professionelle Struktur in einem ehemaligen Theater auf, das Femen zur Verfügung gestellt wurde. Ein harter Kern trifft sich hier täglich, um Aktionen zu planen, Plakate zu malen, Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Rund 80 Mitglieder zählt "Femen France", auch einige Männer unterstützen sie im Hintergrund, etwa bei juristischen Problemen.
Samstagnachmittags findet das "Femen-Training" statt. Es ist eine Mischung aus Stimm-, Kampfsport- und Fitnessübungen. Die Wände sind mit Graffiti besprüht, Box-Handschuhe liegen herum. Ohrenbetäubend laut üben die Aktivistinnen Slogans ein, rangeln miteinander, powern sich aus. "Wir sind aggressiv, nie gewalttätig", trichtert Inna ihren Mitstreiterinnen ein. "Wir leisten Widerstand, aber schlagen nie zu."
Gruppierung lebt von medialer Aufmerksamkeit
Journalisten sind willkommen - Femen lebt von der Aufmerksamkeit. Werden sie fotografiert, setzen sich die Frauen einen Plastikblumenkranz ins Haar und einen kämpferischen Gesichtsausdruck auf: bloß nicht nett lächeln.
Ihr entspreche ein Engagement, das von der Theorie direkt zur Aktion gehe, hatte Pauline noch erklärt: "Wir wollen aufrütteln." Eine Handvoll Frauen sind wie sie hauptberufliche Feministinnen. Die Gruppe finanziert sich durch Spenden, den Verkauf von T-Shirts oder Accessoires. "Wir kaufen uns keine Klamotten, leben bescheiden, anders als typische junge Frauen in Paris", so Pauline. Ihr Einsatz für "Femen" sei eine Lebensentscheidung. "Wir kämpfen so lange, bis es kein Patriarchat mehr auf der Welt gibt." Sie stellt sich noch auf einen langen Kampf ein.