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Wenn Politiker bei "Türken-Demos" von importierten Konflikten sprechen, bedienen sie eine gefährliche Rhetorik. Ein Appell.
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Wien. Der Mob war zum Fürchten. Wie er da mitten auf der Mariahilfer Straße Steine warf, brüllte, Geschirr demolierte und Menschen verletzte. Seit einer Woche ist dieser Mob in ganz Österreich Thema. Er hat Gräben aufgerissen, die nie wirklich zu waren. Zwischen "denen" mit "ihren" Problemen, und "uns", die doch nichts damit zu tun haben.
Nach dem versuchten Putsch in der Türkei waren Hunderte Menschen türkischer Abstammung in verschiedenen Städten Österreichs auf die Straße gegangen. In Wien versammelten sie sich vergangenen Samstag auf der Mariahilfer Straße. Anfangs demonstrierten sie noch gegen den Putsch, später formierte sich eine Gruppe vor einem kurdischen Lokal zu besagtem Mob. "Türkiye", "Allahu Akbar", "PKK-Terrorist" wurden gerufen. Einige Demonstranten zeigten den "Wolfsgruß", das Zeichen der türkischen rechtsextremen Grauen Wölfe.
Innertürkische Konflikte hätten auf Österreichs Straßen nichts zu suchen, so der Tenor nach den Ausschreitungen. Die Polizei hat bereits Anzeige erstattet gegen die Veranstalter. Auch der Verfassungsschutz ermittelt. Es ist richtig Hetze und Gewalt nicht nur zur verurteilen, sondern auch mit strafrechtlichen Konsequenzen zu ahnden. Das steht außer Frage. Ebenso ist es begrüßenswert, wenn das Innenministerium darüber nachdenkt, Symbole wie den "Wolfsgruß" zu verbieten. Ein Schritt, der schon lange fällig war. Doch mischt sich in die aktuelle Debatte ein paternalistischer Subtext. Dieser besagt: Seid dankbar hier zu sein in eurem "Gastland", und wenn ihr euch nicht benehmen könnt, wisst ihr ja, wo die Tür ist. "Wer sich in der türkischen Innenpolitik engagieren will, dem steht es frei, unser Land zu verlassen", ließ Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) nach den Vorfällen wissen. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) forderte "mehr Loyalität und Respekt gegenüber Österreich als Gastland". Selbst Journalisten in Qualitätszeitungen bedienen sich einer ähnlichen Rhetorik, wenn sie ihre Kommentare mit "Unsere Rechte, eure Rechte" titeln um noch einmal zu betonen, dass türkische Verhältnisse auf österreichischen Straßen nichts verloren hätten. Dass es sich bei den Demonstranten auch um österreichische Staatsbürger handelt, spricht keiner an. Knapp 300.000 Menschen in Österreich haben türkische Wurzeln, 116.000 davon besitzen die türkische Staatsbürgerschaft. Das heißt: ein Großteil hat die österreichische Staatsbürgerschaft. Damit ist Österreich ihr Land, nicht ihr Gastland. Aber das spielt keine Rolle. Denn mit ihrem Verhalten haben sie dieses "Privileg", Österreicher zu sein, scheinbar verwirkt. Nun wird wieder der Ruf nach der ominösen Liste laut: die Liste all jener Menschen mit einer doppelten Staatsbürgerschaft. Man soll sie aufspüren, die tickenden Zeitbomben, um ihre Heimreise zu beschleunigen. Sie sind dankbare Störenfriede. Denn man hat ein leichte Lösung für sie: abschieben. Bei autochtonen Fanatikern tut man sich schwerer mit dem Heimschicken.
Wie ungezogene Kinder
Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) kritisierte, dass bei der Demonstration "politische und religiöse Motive" vermischt wurden. Wie ungezogene Kinder wurden die Vertreter der Islamischen Glaubensgemeinschaft zu ihm ins Büro zitiert, um darauf eingeschworen zu werden, die eigene Herde besser unter Kontrolle zu haben. Das Signal ist verheerend. Hätte man kommuniziert, dass beispielsweise der neue Obmann der Glaubensgemeinschaft Mitglied des mächtigen türkischen Dachverbandes Atib - einer Organisation der türkischen Regierung - ist, dann hätte das Treffen einen rein politischen Charakter gehabt. Doch so ist genau das passiert, wovor Kern gewarnt hat: religiöse und politische Symbole wurden vermischt. Oder ist es hierzulande neuerdings Usus, mit Religionsvertretern zu sprechen, wenn es zu Eskalationen kommt? Nach dem Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim in Altenfelden gab es schließlich auch keine Unterredung mit Kardinal Christoph Schönborn. Zugegeben, da die Täter des Anschlags noch nicht ausgemacht werden konnten, tappt man auch bezüglich ihrer Religionszugehörigkeit noch im Dunkeln.
Wenn hierzulande Hetzer am Werk sind, ist viel von Angst die Rede. Es wird nach Gründen gesucht, warum Menschen auf sie hereinfallen. Jede Aussage, jede Beleidigung, jede Aktion wird mit dem Angstgefühl der Verhetzten in Schutz genommen, egal wie irrational ihre Angst und ihr Verhalten sind und wie abstrus die realen wie virtuellen Räume, in denen sie sich bewegen. Ihre Parallelwelt wird hinterfragt, analysiert und man versucht ihnen gar mit Empathie zu begegnen. Nicht so im aktuellen Fall. Es handelt sich ja um einen "importierten" Konflikt, um ein importiertes Freund-Feind Schema, eine importierte Angst.
Statt die richtigen Fragen zu stellen, wird eine Tätergruppe auf ihre Herkunft oder Religion - oder beide- reduziert. Man überlegt das Versammlungsrecht zu prüfen und wählt vermeintliche Instanzen, die ,"von Moslem zu Moslem", das Einmaleins des österreichischen Rechtsstaates wiederholen sollen um so künftig hässliche Episoden auf Wiens wichtigster Einkaufsstraße zu vermeiden. Das ist arrogant und kontraproduktiv. Mit einer derartigen Rhetorik wird der Kokon, in dem es sich die Abgehängten, die Paranoiden, die Dogmatiker heimelig gemacht haben, nur noch dicker. Und das Opfernarrativ der ewig Unverstandenen, dem sie doch allzu gerne frönen, wird einmal mehr befeuert.
Die Ausschreitungen am vorigen Samstag waren die jüngsten Vorfälle in einer Serie hässlicher Episoden. Bisher fanden diese im Abseits statt, in den Seitengassen, in den Lokalen, in den Sportklubs, in den Chats. Weg vom Schuss. Doch genau hier gilt es anzusetzen. Mit Expertise und Sprachkenntnis. Wir müssen herausfinden, wie diese Parallelwelt tickt und an welchen Schrauben wir als Gesellschaft drehen müssen, um zu verhindern, dass Österreicher - denn das sind sie - in ihr abtauchen. Damit nicht der nächste Mob auf der Straße steht.