Die Ausschreitungen in Arabien liefern wieder Medien und Personen, die bereits einschlägig bekannt sind, Vorwände für islamfeindliche Angriffe.
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Sowie irgendwo in der muslimischen Welt Radikalismus und Dummheit eine Allianz eingehen und mit Gewalt Probleme lösen wollen, wird gleich die gesamte Religion mit allen Gläubigen mitverurteilt. Da können die Korrespondenten noch so oft betonen, dass nur eine Minderheit zündelt. Wenn auf allen TV-Kanälen abends Feuerschein die Wohnzimmer erhellt, werden rechtskonservative Kreise wohlig in ihre islamfeindlichen Meinungen gelullt.
Hierzulande zündelt keine Minderheit, sondern mächtige Medien, die Hunderttausende erreichen. Was bedeutet es für den sozialen Frieden im Land, wenn Muslime regelmäßig in den Zeitungen lesen, wie gewalttätig ihre Religion sei? Wenn das Recht eingefordert wird, sie und ihre Religion im Namen der Meinungsfreiheit beleidigen zu dürfen? Zum Glück sind Islamverbände sensibler als manche Kommentare. Sie distanzierten sich und verurteilten die Gewaltakte, ebenso wie viele Politiker der Länder, wo sie geschahen.
Es geht nicht nur darum, dass ein Filmchen, das landauf landab als bedeutungslos eingestuft wird - auch von den allermeisten Muslimen - Mohammed verhöhnt, es geht um viel mehr. Nämlich darum, dass sich die Bevölkerungen islamischer Länder seit Jahrzehnten vom Westen verhöhnt fühlen. Versprechen sind nie gehalten worden, die Verlockungen sind immer bloß im Fernsehen. An Unterstützung bekommen sie Worthülsen wie Demokratie, Menschenrechte, Transparenz, Gleichberechtigung, die als Forderungen formuliert werden, die nun endlich zu erfüllen seien. Jahrzehntelang hat man Regierungen und Diktatoren gestützt, die Arabiens Völker gar nicht haben wollten, und mit ihnen gute Geschäfte gemacht. Syrien lässt man verbluten, weil es die einfachste Lösung ist, und in Libyen hat man eingegriffen, weil es die lukrativste Lösung war. Hinzu kommen regional unterschiedliche historische Verstrickungen wie die Demütigungen, die die Erfahrungen kolonialer Abhängigkeit mit sich brachten, einseitige militärische Interventionen wie in Afghanistan und im Irak, die Doppelzüngigkeit beim Nahost-Konflikt.
Nicht Aggressivität, Radikalismus, Fanatismus und Rückständigkeit sind die Wurzeln dieser Gewalt. Das sind allenfalls Symptome. In den postrevolutionären Ländern ist die Alltagsbewältigung schwieriger denn je, die Hoffnung auf ein besseres Leben schwindet mit den Preiserhöhungen. Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, Testosteronüberschüsse und nie eingetretene Verheißungen sind die Ingredienzien der explosiven Cocktails - und vielleicht auch Langeweile aus Unterbeschäftigung und die Ansteckungsgefahr einer Masse. Gewalttätige Ausschreitungen sind da über kurz oder lang die unvermeidliche Folge, überall auf der Welt und vor jeglichem religiösen Hintergrund.
Aber Kommentare und Kolumnen gefallen sich darin, den Westen, das Christentum, das Abendland, USA und Europa, die doch Mittäter sind, als unschuldige Opfer der Gewalt aufzubauen. Gleichzeitig werden der Islam als Gesamtes und all seine Gläubigen für die Toten zur Verantwortung gezogen. Diese stereotypisierende und dogmatische Haltung hat auch etwas von intolerantem, religiösem Eifer an sich.
Ingrid Thurner ist Mitarbeiterin der Teilnehmenden Medienbeobachtung (www.univie.ac.at/tmb) am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien.