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Unsere Nachbarn

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

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Wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz als EU-Ratsvorsitzender nun in Salzburg erklärt, Ägypten und die Staaten Nordafrikas könnten wichtige Partner für die EU bei der Bekämpfung von Migration sein, dann hat er allenfalls zur Hälfte recht.

Tatsächlich gibt es zu einer solchen Partnerschaft überhaupt keine Alternative - oder jedenfalls keine, die es wert wäre, sie auch nur theoretisch durchzudenken. Europa muss also seinen Nachbarn auf der anderen Seite des lächerlich kleinen Binnengewässers namens Mittelmeer eine enge Zusammenarbeit anbieten. Und darüber hinaus dem gesamten Kontinent.

Wer nach Gründen für dieses "Muss" sucht, wird bei Geo- und Demografie schnell fündig. Afrika ist der Kontinent mit der weltweit am schnellsten wachsenden Bevölkerung, 2050 - bis dahin sind es nur noch drei Jahrzehnte - werden 2,5 Milliarden Menschen dort leben; derzeit sind es etwas mehr als 1,2 Milliarden. Im Vergleich dazu sinkt Europas Bevölkerung von derzeit 740 auf dann 728 Millionen. Afrika wächst nicht nur am schnellsten, es ist auch der Kontinent mit dem größten Entwicklungsrückstand. Die zehn Länder mit der schlechtesten Stromversorgung befinden sich alle hier mit Werten allesamt unter 15 Prozent. Unvorstellbar für einen Kontinent, wo jeder Kuhstall und jeder Wohnwagen über eine Energieversorgung verfügt. Wenn das Leben unerträglich wird, machen sich die Menschen zu allen Zeiten auf den Weg.

Mit ein bisschen mehr Entwicklungshilfe ist es übrigens nicht getan. Die rund 60 Milliarden Euro, die die EU derzeit für Entwicklungshilfe weltweit ausgibt, sind der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein.

Und auch der Ausbau von Frontex, der europäischen Agentur zur Grenzsicherung, ist zweifellos geboten, aber vor allem deshalb, weil jedes politische Gemeinwesen wissen muss, wer auf sein Territorium gelangen will. Sollte es Europa nicht gelingen, Afrika gemeinsam mit den Afrikanern (und gerne auch mit China, den USA, Indien, und wer sonst noch alles will) als lebenswerten Raum zu sichern, wird auch die beste Grenzsicherung wenig nützen.

Man kann dieses Unterfangen philanthropisch oder moralisch begründen, es erklärt sich allerdings auch aus dem aufgeklärten Eigeninteresse Europas. Die USA und Afrika trennt der Atlantik, und China liegt überhaupt auf der anderen Erdhälfte. Die Reise nach Europa gleicht dagegen einem Katzensprung.

Lässt man die Politik mit dieser Aufgabe allein, wird sie hoffnungslos überfordert sein. Das geht schon uns alle an. Es wäre allerdings hilfreich, wenn die Politik ihren Bürgern ein Gefühl für die Größe und die Folgen dieser Herausforderungen für das 21. Jahrhundert vermitteln würde.