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"Unsere Schulen lehren das Falsche"

Von Walter Hämmerle

Politik
Der deutsche Bildungswissenschafter Thomas Lang-von Wins übt scharfe Kritik am Bildungssystem. Foto: ccc

"Schulen sind zu Zertifikatsstellen für formale Bildung degeneriert." | Resignation muss bekämpft werden. | "Wiener Zeitung": Stimmt der Eindruck, dass es seit 1945 keine junge Generation so schwer hatte, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen? | Thomas Lang-von Wins: Das stimmt, tatsächlich hat sich die Situation dramatisch verändert. Eine durchgehende Berufslaufbahn ist ein Auslaufmodell.


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Die Zukunft wird so aussehen, dass es viele Unterbrechungen, viele Neuorientierungen geben wird, auch Phasen von Arbeitslosigkeit und Selbständigkeit. Das bedeutet für Arbeitnehmer ganz neue Herausforderungen. Darin liegt zum einen die Chance, sich beständig neu zu orientieren, auch, sich neu zu definieren; aber auch das Risiko, dass die eigene Identität, die ja stark mit dem Arbeitsleben verknüpft ist, destabilisiert wird. Allerdings gibt es bislang keine Möglichkeit, wie man sich auf diese neuen Bedingungen vorbereiten könnte.

Welche Folgen sind damit verbunden?

Studien zeigen, dass die Schere zwischen oberen und unteren Einkommensschichten noch weiter auseinander gehen wird, weil die Kinder von zuhause nicht die Unterstützung und Netzwerke mitbekommen, die Besserverdienenden und Gebildeten zur Verfügung stehen. Wir wissen auch, dass bereits Kinder antizipieren, ob sie schlechtere Chancen haben und sich in der Folge in dieses Schicksal hineinfügen.

Was bedeutet das für unsere Bildungssysteme?

Über all diesen Fragen steht das Thema Eigenverantwortung. Die Wirtschaft fordert, dass jeder für seine Beschäftigungsfähigkeit Sorge trägt. Das Problem ist nur: Diese Eigenverantwortung muss man zuerst lernen. Das ist eine zentrale Aufgabe der Bildungsinstitutionen, der sie derzeit jedoch nicht nachkommen. Plakativ formuliert sind Schulen wie Hochschulen zu reinen Ausstellern von Bildungszertifikaten degeneriert, die sich nur auf die formalen Aspekte von Bildung und Ausbildung konzentrieren. In der Psychologie gibt es den Begriff der "erlernten Hilflosigkeit" angesichts scheinbar auswegloser Situationen. Die Folge ist Resignation. Diese müssen wir bekämpfen und dazu muss auch die Schule einen Beitrag leisten.

Und wie bewerten Sie die bisherigen Erfolge der Schulen bei dieser Aufgabe?

Die Schulen leisten ordentliche Arbeit im Hinblick auf formale Qualifikation, obwohl auch hier mehr möglich wäre. Für die Stärkung der eigenen Persönlichkeit oder die Fähigkeit, mit schwierigen Situationen umzugehen, tun die Schulen jedoch bestenfalls gar nichts - und manchmal sogar das Gegenteil von dem, was sinnvoll wäre. Sie orientieren sich an Defiziten statt an Stärken: Benotet werden Fehler.

Von Lehrherren hört man beängstigend oft, dass es vielen Jugendlichen an Primärtugenden wie Pünktlichkeit oder Höflichkeit mangelt . . .

Hier kommt sicher das Versagen vieler Erziehungsebenen zusammen. Grundsätzlich sehe ich darin einen Mangel an Eigenverantwortung, die muss einem aber auch nicht zuletzt vom Elternhaus mittels einer konsequenten Erziehung vermittelt werden.

Auf der anderen Seite verweigert der Arbeitsmarkt vielen topausgebildeten Jungen - Stichwort Generation Praktikum - eine feste Anstellung.

Ich habe darauf keine allgemein gültige Antwort, aber ich denke, dass gerade Familienunternehmen künftig eine wichtige Rolle spielen, weil sie auch immaterielle Werte verkörpern. Eigentum hat auch eine soziale Verpflichtung, das wurde zuletzt oft vergessen. Ich glaube aber, das sich das wieder ändert.

An den Unis brodelt es. In Österreich protestieren die Studenten für einen freien Uni-Zugang.

Das Problem ist, dass wir keine Diskussion darüber führen, was Studienfähigkeit heute bedeutet. Derzeit ist das rein formal bestimmt, etwa Matura oder ein bestimmter Notendurchschnitt in Deutschland. Persönlich sind mir die Forderungen der Studenten sehr sympathisch, der Zugang zu Bildung sollte frei sein.

Aber muss nicht auch ein Staat die Zahl der mit Steuergeld finanzierten Studienplätze nach seinen Bedürfnissen begrenzen?

Doch, nur hat sich die öffentliche Hand bei der Schätzung des künftigen Qualifikationsbedarfs zuletzt häufig geirrt. Man übersieht, dass die Nachfrage nach bestimmten Berufen viel dynamischer und vor allem antizyklisch verläuft.

Zur Person

Thomas Lang-von Wins ist Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Fakultät für Sozialwissenschaften an der Universität der Bundeswehr München.

Forum Arbeit

Heute, Donnerstag, findet um 10 Uhr in der Vienna Business School das "4. Forum Zukunft der Arbeit" zum Thema Jugend statt. Impulsreferent ist Thomas Lang-von Wins. Teilnehmen wird unter anderen Bildungsministerin Claudia Schmied. Veranstalter sind Competence Call Center CCC, Management Club und Career.