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"Unsere Solidarität soll gebrochen werden"

Von Ronald Schönhuber

Politik
© WZ-Montage; Material: stock.adobe.com / MclittleStock

Die Schlacht im medialen Raum ist für Russland fast genauso wichtig wie die Gefechte in der Ukraine.


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Der Social-Media-Experte Dietmar Pichler im Gespräch über die Desinformationskampagne des Kreml.

"Wiener Zeitung": Der Krieg um die Ukraine wird nicht nur mit Panzern und Raketen ausgefochten, es gibt auch die Schlacht um den medialen Raum, um die Meinungshoheit auf Facebook, Twitter und TikTok. Hat Russland ein genauso großes Arsenal an Informationskriegern wie an gepanzerten Fahrzeugen?

Dietmar Pichler: Ich würde diese Frage definitiv mit Ja beantworten. Wir wissen, dass Jewgeni Prigoschin, der auch gerne Wladimir Putins Koch genannt wird, weil er große Catering-Aufträge für der Kreml abwickelt, schon in der Vergangenheit rund tausend Mitarbeiter in seiner Trollfabrik beschäftigt hat. Das sind Studenten oder auch arbeitslose Journalisten, die hier für 1.000 Dollar pro Monat - das ist für russische Verhältnisse sehr viel - versuchen, die Stimmung in den Sozialen Medien zugunsten Russlands zu beeinflussen. Man geht davon aus, dass diese Trollfabriken nun enorm aufgestockt wurden, und das lässt sich auch in den Sozialen Medien beobachten.

Sie haben gerade die Trollfabriken erwähnt. Aber das ist wohl nur ein Teil der gesamten Maschinerie. Welche Rolle spielen staatliche Stellen, die russischen Medien oder auch ganze normale Russen, die einfach die Sicht des Kremls verbreiten?

Ich beobachte russische Desinformation auf zwei Ebenen: Einerseits das, was die Welt zu sehen bekommt. Und zweitens: Was passiert im eigenen Land? In Russland selbst gibt es eine Kombination aus mehreren Dingen. Das Fernsehen spielt hier noch immer eine ganz große Rolle, nicht zuletzt weil das Internet in den ländlichen Regionen nicht so verbreitet ist. Alternative Informationen - und damit in diesem Fall valide Informationen - sind also nicht so leicht zu bekommen. Dann arbeiten die Trolle natürlich auch nach innen, das ist eine ganz wichtige Aufgabe. Und schließlich gibt es sehr viele Z-Aktivisten - Z ist ja das Symbol für die Kriegsbewegung -, und die machen das natürlich auch ohne Geld. Im russischen sozialen Netzwerk VK hat mich etwa eine Dame kontaktiert und mir ganze lange Texte geschrieben, wie schlecht die Ukrainer seien. Wir sollten nicht solidarisch mit ihnen sein, weil das alles Nazis wären. Diese Frau ist definitiv kein bezahlter Troll, es gibt also auch einen von den russischen Bürgern geführten Cyberkrieg. Man muss aber dazusagen, dass es auch Widerstand gibt. Das sind hauptsächlich russischsprachige Menschen im Ausland, sowohl Ukrainer, aber auch Russen. Bei uns im Westen spielen dagegen vor allem die staatlichen Kanäle eine große Rolle, weil ja viele andere Dinge abgedreht worden sind. Aber es gibt auch noch einen wichtigen Punkt, über den weniger gesprochen wird. Die Schließung von Russia Today und Sputnik ist ja in Wahrheit nur ein Tropfen auf den heißen Stein, weil viele kleinere Nachrichtenplattformen oder alternative Medien, die ebenfalls von der russischen Propagandamaschinerie gefüttert werden, nach wie vor aktiv sind.

Dietmar Pichler ist Programmdirektor beim Zentrum für digitale Medienkompetenz und beschäftigt sich seit 2014 mit russischer Desinformation. privat

Welche Strategie verfolgt Russland hier? Welche Erzählungen versucht der Kreml zu verbreiten?

Es sind mehrere Dinge, die parallel laufen. In der ersten Phase - und das erleben wir jetzt ganz stark - geht es um die Dämonisierung der Ukraine, um unsere Solidarität zu brechen. Das zielt vor allem auf die Bevölkerung in der Hoffnung, die Politiker unter Druck zu bringen. Im besten Fall für den Kreml sagen die Menschen dann, wir müssen irgendwann auch wieder mit Russland auskommen und die Ukraine ist es ja gar nicht wert, die sind ja korrupt und Faschisten. Neben diesem Primärziel gibt es aber auch ein Sekundärziel, bei dem es um die Destabilisierung von Europa selbst geht. Das haben wir schon nach der Annexion der Krim und von Teilen des Donbass erlebt, als etwa extreme und populistische Parteien wie jene von Marine Le Pen in Frankreich unterstützt wurden und ganz allgemein versucht wurde Unruhe zu stiften. In der Pandemie haben wir diese Destabilisierungsversuche gesehen, als es etwa darum ging, westliche Vakzine schlechtzureden.

Bei wem verfangen diese Botschaften im Westen besonders?

Wenn man es ganz pauschal betrachtet, gibt es zwei Arten von russischer Desinformation. Das eine sind Meldungen, die ziemlich absurd sind, etwa jene, dass die Ukrainer 2014 ein Kind gekreuzigt haben. Diese alte Ente kursiert zwar in Russland immer noch, derartige Dinge werden aber nur von den äußersten Rändern geglaubt - also von der extremen Rechten wie auch von mitunter stalinistisch verklärten reaktionären Linken. Die offensichtlich größere Gefahr sind aber die Lügen, die sich an die Mitte der Gesellschaft richten und die man nur dann entlarven kann, wenn man sehr viel Kenntnis oder Insiderwissen hat. Ein Beispiel dafür ist die Behauptung, dass man in der ukrainischen Hauptstadt Kiew nicht Russisch sprechen darf. Ich war vor dem Krieg wahrscheinlich 30 Mal in Kiew und man hat damals im Alltag mehr Russisch als Ukrainisch gehört. Dennoch glauben viele Menschen in Westeuropa, dass das ein großes Thema ist. Das ist auch das Gefährliche daran. Viele Menschen haben erkannt, dass Russland extrem absurde und schlecht gemachte Fake News produziert und verbreitet - wie etwa die Behauptung es gebe keinen Krieg, sondern nur eine Spezialoperation. Gleichzeitig erhalten die komplexeren Geschichte damit aber mehr Glaubwürdigkeit. Ganz nach dem Motto, dann wird zumindest das stimmen, weil Russland kann ja nicht die ganze Zeit lügen. Tatsächlich ist es aber so, dass die russische Politik und Desinformation integriert sind. Desinformation ist nicht nur bloß ein einzelnes isoliertes Tool der russischen Politik.

Es scheint auch eine große Schnittmenge bei Impfgegnern, Rechtsnationalisten und Putin-Bewunderern zu geben.

Den ideologischen Gleichklang - also gegen das demokratische System, gegen die Europäische Union oder gegen Politiker der Mitte zu sein - hat es auch davor gegeben. Nach der russischen Invasion in der Ukraine am 24. Februar waren dann aber auf einmal auch die russischen Flaggen bei den Demonstrationen der Impf- und Maßnahmengegner zu sehen und bei einigen Reden gab es auch Solidaritätsbekundungen mit dem russischen Angriffskrieg. Und diese Schnittmenge gibt es natürlich auch besonders stark in den Sozialen Medien. Auf Twitter kann man etwa sehr gut beobachten, dass die Menschen, die in den letzten acht Monaten des Jahres 2021 nur über die bösen Maßnahmen und die böse Impfung geschrieben haben, plötzlich umgesattelt haben und nun die politischen Aktionen des Kremls unterstützen.

Im Westen haben wohl viele den Eindruck, dass die Ukraine den Info-Krieg mit sehr persönlichen Botschaften - angefangen von Präsident Wolodymyr Selenskyj bis hin zum kleinen Mädchen, das im Luftschutzbunker singt - bereits klar gewonnen hat. Gibt es diesen Eindruck nicht vielleicht auch deshalb, weil wir vergleichsweise wenig auf Telegram oder chinesische Netzwerke schauen?

Die chinesischen Trolle, hier gibt es ja auch große organisierte Einheiten, die direkt für den Staat tätig sind, haben sich eindeutig auf die russische Seite geschlagen. Diese Gruppen unterstützten und verstärken nun die russische Narrative, in dem sie die entsprechenden Beiträge teilen und weiter verbreiten. Auch die klassischen chinesische Staatsmedien haben eine ganz eindeutige Schlagseite. Ich glaube aber auch nicht, dass die Ukraine den Info-Krieg bei uns bereits gewonnen hat. Wir sehen teilweise auch im Westen schon eine Täter-Opfer-Umkehr und daran sieht man, dass die russische Propaganda ganz genau weiß, wo sie ansetzen muss. Und die Menschen werden kriegsmüde werden und sie wollen nicht, dass die Sache noch weiter eskaliert.

Hat Russland hier nicht auch den Vorteil, dass es umso mehr Raum für Zweifel gibt, je länger dieser Konflikt dauert?

Das trifft wohl zu. Ich bin zwar kein Psychologe, aber es dürfte für die Menschen wohl leichter sein, Kriegsverbrechen zu verdauen, wenn man annimmt, diese wären gar nicht so passiert oder werden übertrieben dargestellt. Und auf diese Effekte baut auch die russische Desinformation, so werden ja die Kriegsverbrechen in Butscha regelmäßig angezweifelt.

Wie kann man russischer Desinformation am besten begegnen?

Die Standardantwort ist hier natürlich immer: Quelle prüfen, sich die Frage stellen, wer postet da eigentlich. Doch im Fall der Ukraine funktioniert das nur beschränkt, weil man ja wie schon erwähnt, viel Vorwissen für die komplexen Zusammenhänge braucht. Und nicht selten kommt das Gegenüber in so einer Auseinandersetzung mit Vorwürfen, auf die man nicht vorbereitet ist. Das geht es Moderatoren im Fernsehen genauso wie dem normalen Bürger, der so etwas im Freundeskreis diskutiert. Der Vorteil ist aber wiederum, dass jeder auf längere Sicht zum Fakten-Checker werden kann, der mit ein paar Links und einigen Sätzen die Dinge geraderückt.