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"Unsere Zukunft liegt im All"

Von Teresa Reiter

Wissen

Weltraumexperte Tommaso Ghidini über Satellitenprojekte, Weltraummüll und Visionen von der Nutzung des Weltraums.


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Wien. Die Weltraumforschung ist Teil unseres täglichen Lebens, sagt Weltraumexperte Tommaso Ghidini von der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Als einer der Hauptredner bei der Acuns-Konferenz (Academic Council of the United Nations System) erklärte er Anfang 2015, dass der Umzug von Menschen in den Weltraum nicht mehr nur Utopie ist.

"Wiener Zeitung": Ein großer Teil der Weltraumtechnologie erscheint vielen Menschen wie Science Fiction. Was macht die Europäische Weltraumorganisation alles?

Tommaso Ghidini: Die ESA beschäftigt sich mit allen Aktivitäten, die mit Raumfahrt und Weltraumtechnologie zu tun haben. Das reicht von Navigation und Telekommunikation bis hin zu Weltraumwissenschaft, Beobachtung der Erde und bemannter Raumfahrt. Wir benutzen unsere Satelliten und Raketen auch selbst. All das hat direkte Auswirkungen auf die Menschheit. Es ist nicht Science Fiction. Was uns sehr wichtig ist, ist zu zeigen, dass wir nicht nur ins All schauen, sondern auch ganz viel auf die Erde.

Inwiefern kooperiert die ESA dabei mit anderen Industriezweigen?

Zum Beispiel im Bereich der Telekommunikation arbeiten wir sehr eng mit der Industrie zusammen. Dabei geht es natürlich auch um Telefon und Fernsehen, aber wir wollen auch ein System entwickeln, um Flugzeuge von oben zu kontrollieren und zu beobachten. Momentan geschieht das noch von der Erde aus mit Radar, doch wir wollen dafür Satelliten nutzen.

Könnte das effizienter sein?

Ja auf jeden Fall. Es hätte nicht die Grenzen, die Radarsysteme haben. Es ist ein System, das von oben einfach überall hinsieht. Man kann damit sehr präzise verfolgen, was auf der Erde passiert. Man kann es auch dazu nutzen, Vegetation, Wälder, Winde und Ozeane zu beobachten. So können wir etwa auch beobachten, wie sich der Klimawandel auswirkt.

Wie kann man dabei auch Entwicklungsländer oder sehr kleine Industrieländer miteinbeziehen, denen es noch nicht möglich ist, sich an der Raumfahrt zu beteiligen?

Wir haben Programme, um diesen Ländern zu helfen. Einerseits geht es dabei um Hardware, aber auch um Bildung, Universitäten und Forschungszentren, das heißt Personalentwicklung. Wir wollen, dass die Leute auch richtig trainiert werden, um auf unserem Level der Weltraumtechnologie und -forschung arbeiten zu können. Für das Wachstumspotenzial einer Nation ist das eine große Gelegenheit.

Wie wird zum Beispiel ein Land wie Österreich eingebunden?

Der ESA geht es dabei vor allem um Partnerschaft. Nationen ohne eigenes Raumfahrtprogramm können mit anderen ESA-Mitgliedern kooperieren, die hier bereits Erfahrung haben. Es gibt neue Mitgliedsstaaten, die normalerweise keine Möglichkeit hätten, um einen Satelliten komplett allein zu entwickeln, aber sehr kleine Satelliten können sie schon machen. Auch Österreich hat mit kleinen Satelliten Zugang zum Weltraum und die Erfahrung, die das Land damit sammelt, ist von sehr großer Qualität. Kleine Satelliten sind von der Technologie her nicht unbedingt einfacher. Oft sind Technologien, die wir für die kleinen Satelliten benutzen, sehr aggressiv, da man bei den geringeren Kosten mehr ausprobieren kann. Man riskiert ein wenig mehr, lernt dafür aber auch sehr viel.

Was bedeutet es, den Weltraum nachhaltig zu nutzen? Wir haben bisher schon eine Menge Weltraummüll da oben hinterlassen . . .

Auf ESA-Ebene gibt es da viele Projekte. Unser Generaldirektor hat einmal gesagt: Wir haben den Weltraum sauber vorgefunden und wollen ihn auch sauber halten. Wir haben viele Satelliten da draußen, sie sind unsere Verantwortung, und wir müssen aktiv handeln, um dieses Weltraummüllproblem zu lösen. Unser Clean Space Project verfolgt dazu verschiedene Ansätze. Man kann sich die zukünftige Entwicklung ansehen und versuchen, deren negative Effekte zu lindern. Das heißt vor allem, Materialien und Prozesse zu vermeiden, die gefährlich sind und stattdessen andere zu verwenden, die aber gleich leistungsfähig sind.

Was ist mit dem Weltraummüll, der jetzt schon herumschwirrt?

Innerhalb des Programmes wollen wir auch Satelliten entwickeln, die, wenn sie ihren Dienst getan haben, komplett kaputtgehen und so nicht mehr auf die Erde kommen, oder die in einem Orbit kreisen, wo sie nicht gefährlich für die anderen Satelliten sind. Aber es gibt auch sogenannte Aktivmaßnahmen, das heißt, dass man den Satelliten mit einer Art Netz wie einen Fisch einfängt und auf die Erde zurückbringt oder woanders hinverschiebt.

Sie haben einmal gesagt, dass die Zukunft der Menschen im All liegt. Was haben Sie damit gemeint?

Einerseits glaube ich, dass es viel gibt, dass aus der Weltraumtechnik zu uns kommt und auf der Erde direkt benutzt werden kann, um unser Leben hier zu verbessern. Aber, um ein bisschen visionärer zu denken: Unsere Zukunft wird irgendwann auch woanders passieren. Ich glaube wirklich daran. Der Weltraum ist auch eine Chance für uns, denn irgendwann werden wir woanders hingehen müssen. Das müssen wir jetzt vorbereiten und aktiv schauen, wo das sein könnte und wie wir dort leben könnten.

Beziehen nationale Regierungen bei der Lösung globaler Probleme die Weltraumforschung genug ein?

Das Budget der ESA ist sehr wichtig. Die verschiedenen Mitgliedstaaten sehen auch, was sie dafür zurückbekommen. Alle Finanzierung, die von ihnen kommt, rentiert sich auch für sie. Wir sind zufrieden mit der politischen Unterstützung, die wir haben und wissen zu schätzen, dass die Mitglieder den Wert ihrer Mitgliedschaft verstehen.

Tommaso Ghidini leitet bei der ESA die Abteilung Werkstofftechnik
und ist Experte für alle in der Weltraumforschung eingesetzte
Materialien. Der Autor zahlreicher Publikationen ist auch Lektor an
verschiedenen europäischen Universitäten.